Tanz der Sinne
gekümmert hätten, wären wir vollkommen verwildert. Papa konnte die Gläubiger in Schach halten, so lange er am Leben war, aber nach seinem Tod vor fünf Jahren wurde der Besitz versteigert, der Titel ging an einen Vetter zweiten Grades in Amerika, und Kristine und ich blieben ohne einen Penny zurück.«
»Ihr Vater war so verantwortungslos, daß er keine Vorkehrungen für Ihre Zukunft getroffen hat?«
»Es lag nicht in seiner Natur, an die Zukunft zu denken«, sagte sie nüchtern. »Wahrscheinlich hatte er vor, uns mit dem Gewinn aus irgendeinem Kartenspiel auszustatten, aber er ist nie dazu gekommen. Meine Mutter war eine Pastorentochter, die von ihrer Familie enterbt wurde, als sie mit meinem Vater durchbrannte.
Von ihrer Familie konnten wir also auch keine Hilfe erwarten. Kristine und ich waren in derselben Lage wie alle anderen mittellosen jungen Damen aus gutem Hause.«
»Und die ist alles andere als angenehm.«
»Richtig. Man kann heiraten, Arbeit finden oder eine arme Verwandte werden, die von Mildtätigkeit lebt.«
»Heirat erscheint mir die logische Wahl. Sie sind zwei sehr attraktive junge Frauen.«
»Man muß schon ausnehmend schön sein, um den Mangel an jeglicher Mitgift auszugleichen«, sagte sie zynisch. »Und es gab… andere Gründe.«
Er fragte sich, was sie sein mochten, wollte sich aber nicht ablenken lassen. »Sind Sie damals zu Lady Jane gekommen?«
Sie nickte. »Glücklicherweise hat Tante Jane von ihrer Großmutter ein bescheidenes Einkommen geerbt, das es ihr erlaubt, unabhängig zu sein und eine kleine Wohnung in London zu unterhalten.
Ich war sehr dankbar, als sie tos ein Heim anbot, da ich bezweifle, ob ich eine gute Gouvernante wäre und ganz bestimmt zu nichts anderem Qualifiziert bin.«
Als sie nicht weitersprach, fragt er: »Und was ist mit Kristine?«
Sie starrte in die tanzenden Flammen. »Meine Schwester ist zehn Minuten älter als ich, und sie hat den Charme und die Wildheit der Travers geerbt. Sie ist zu willensstark, um sich mit dem ruhigen Leben bei einer blaustrümpfigen Tante zufriedenzugeben. Sie hat immer gerne auf der Bühne gestanden und oft Aufführungen und Konzerte organisiert. Deswegen hat sie beschlossen, den Anstand in den Wind zu schlagen und es beim Theater zu versuchen.«
»Und so wurden Sie beide das klassische Beispiel von >gutem Zwilling, schlechtem Zwillinge«
Sein ironischer Ton entging ihr nicht, und so sagte sie scharf: »Kristine ist nicht schlecht, nur mutiger als die meisten. Sie würde nie den einfachen Ausweg wählen.«
Sah Kathryn ihr eigenes Leben so – als den einfachen Ausweg? »Natürlich ist das Theater nicht schlecht«, räumte er ein, »aber eine ungewöhnliche Wahl für ein wohlerzogenes Mädchen. Ihr Ruf wäre für immer ruiniert.«
»Kristines Worte waren: Was nützt einem ein guter Ruf, wenn es darum geht, Essen auf den Tisch zu bringen? Wenn sie schon arm sein mußte, dann konnte sie sich ebensogut amüsieren. Sie benutzt einen Bühnennamen, um die Familie nicht in Verlegenheit zu bringen, was auch immer davon übrig ist. Sie hat ein paar Jahre gebraucht, aber jetzt geht es ihr, wie Sie wissen, sehr gut.«
»Stehen Sie in engem Kontakt mit ihr?«
Kathryn wandte ihr beunruhigtes Gesicht wieder dem Feuer zu. »Tante Jane hat zwar radikale politische Ansichten, aber ihre persönliche Vorstellung von Moral ist sehr anspruchsvoll. Sie hat Kristines Entscheidung ganz und gar nicht gebilligt und ihr das Haus verboten. Das macht es… schwierig für mich, meine Schwester zu sehen.«
»Mit anderen Worten, Sie mußten sich zwischen ihrem und einem Dach über dem Kopf entscheiden«, schloß Lucien. »Eine schwierige Wahl.«
»Überhaupt nicht. Kristine hat für uns beide entschieden, so wie stets in der Vergangenheit.«
Der Schmerz in ihrer Stimme ging zu tief, um Lucien zu entgehen. »Bestimmt vermißt sie Sie ebenso wie Sie.«
Kathryns Gesicht verschloß sich. »Das kann niemand wissen, Lord Strathmore. Sie wollten wissen, warum meine Schwester und ich so verschieden leben, und jetzt wissen Sie es. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihr Wissen nicht
.weitergeben würden. Jane wäre nicht entzückt, wenn allgemein bekannt würde, daß Cassie James in Wahrheit das schwarze Schaf der Familie Travers ist.«
»Ihre Tante klingt ein bißchen nach einem Tyrann.«
»Sie ist sehr gut zu mir gewesen«, sagte Kathryn mit noch größerer Reserve. »Ich dulde keinerlei Kritik an ihr.«
Er bewunderte ihre Loyalität und hoffte, daß
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