Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
den zweiten Blick fiel dem Lehrling auf, daß die Säulen im hinteren Ende des Raumes sich deutlich von den anderen unterschieden. Hier schauten die Vogelmenschen verzückt in den Himmel. Ihre goldenen Augen blickten zum höchsten Punkt der Decke, und sie hatten ihre Arme hingebungsvoll erhoben.
»Das sind die sechsundzwanzig Krallenfürsten, die man in den alten Hügeln zur letzten Ruhe gebettet hat«, erläuterte der Charonite. Erst jetzt begriff Axis, daß sie sich unmittelbar unter dem Ort befinden mußten, an dem Gorgraels Sturm so furchtbar unter seinen Axtschwingern gewütet hatte. Und wo er Faraday verloren hatte.
Orr trat weiter in die Halle hinein und bedeutete seinem Lehrling, ihm zu folgen. In der Mitte befand sich ein ebenfalls kreisrundes Becken, das von einer niedrigen Mauer umgeben wurde. Blaue Schatten tanzten darüber und schienen sich bis unter die hohe Decke zu jagen. Sowohl das pulsierende Leuchten als auch der brausende Wind entstammten diesem Becken.
Als Axis in das Rund hineinspähte, blickte er geradewegs ins Universum und erkannte, daß es sich bei dieser Anlage um das eigentliche Sternentor handeln mußte. Denn was er dort entdeckte, war das wahre Firmament – und nicht die bescheidene Nachbildung dessen, was man am Nachthimmel zu sehen bekam. Das Tosen des Sternentanzes war hier übermächtig, und Axis erkannte auch gleich den Grund dafür: Die Sterne wirbelten und tanzten durcheinander; Sonnen jagten einander von einer Galaxis zur anderen; Monde tauchten hinter Planetensystemen weg und hüpften zwischen ihnen hindurch; strahlende Kometen schwebten durch den Kosmos.
Die Schönheit dieses Anblicks ließ sich mit Worten nicht beschreiben und zog Axis wie hypnotisierend an. Der Sternentanz rief nach ihm, flehte ihn an, umschmeichelte ihn und bat. Als ob er sich Axis zum Geliebten auserkoren hätte. Kommt doch, lockte er, tretet durch das Tor, und kommt zu mir!
»Widersteht!« warnte der Fährmann. »Widersteht seinem Werben!«
Axis konzentrierte sich darauf, dem Drängen nicht nachzugeben, und als ihm das gelang, konnte er sich ganz in die Schönheit des Universums versenken. Wundersame Farben zeigten sich hier. Wenn er auf der Oberwelt in den Nachthimmel schaute, konnte er nicht mehr als silberfarbene Sterne erkennen, manchmal noch ein goldfarbenes oder rotes Schimmern dazwischen. Doch wenn er jetzt durch das Sternentor blickte, gewahrte er ganze Galaxien in Smaragdgrün, Gold oder Violett, Sonnensysteme, die in Hellblau oder Dunkelrot prangten, und Sterne in allen Farben des Regenbogens.
»Wenn Ihr nachts oben in Eurer Welt steht und hochblickt«, erklärte Orr, »erkennt Ihr das Universum nur durch einen Schleier aus Luft, Wind, dünnen Wolken und Geräuschen. Wenn Ihr das wahre Universum schauen wollt, müßt Ihr entweder sterben oder Euch an den Rand des Sternentors stellen.«
So standen sie lange am Becken und vergaßen ganz den Lauf der Zeit. Bis Axis sich schließlich zitternd abwenden mußte. Der Lockruf des Sternentanzes ließ sich nicht länger ertragen. Wenn er jetzt nicht vom Bekkenrand zurücktrat, würde er ihm unweigerlich nachgeben.
Der Krieger schaute sich im Raum um und wandte sich dann der ersten der sechsundzwanzig Krallenfürstenstatuen zu. Und hier konnte er dem Drang nicht widerstehen, eine der Figuren zu berühren. Der Stein fühlte sich kalt und abweisend an.
»Laßt das, Axis«, mahnte der Charonite. »Die Statuen derjenigen zu berühren, die von uns gegangen sind, zeugt von mangelnder Achtung.«
»Sie sind doch schon so lange tot, Orr, da macht es ihnen bestimmt nichts mehr aus.« Er war langsam weitergegangen und berührte jetzt die achte Figur. »Davon abgesehen werde ich eines Tages auch hier stehen.«
»Mein lieber junger Freund«, erklärte der Fährmann nun hörbar strenger, »schon seit langem ist bekannt, daß es Unglück bringt, diese Statuen zu berühren. Bitte haltet Euch zurück.«
Axis stand nun vor der neunten Figur und streckte wieder die Hand aus. Doch statt auf harten Stein zu stoßen, fuhren seine Finger durch die Statue.
Axis keuchte erschrocken und fuhr zurück. Dann beugte er sich wieder vor und berührte sie zögernd noch einmal. Die Statue begann zu leuchten, sie bewegte sich und war plötzlich spurlos verschwunden. Orr und sein Lehrling starrten sprachlos auf die Stelle.
»Eine Illusion«, stöhnte der Fährmann schließlich. »Die Figur war eine Illusion!«
»Was soll das heißen, Orr?«
Der Charonite wickelte sich in
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