Tanz des Lebens
einem Zipfel seines Poloshirts zu putzen und schwieg einen Augenblick. Dann setzte er die Brille wieder auf und blickte ihn ernst an. »Willst du es wirklich wissen? Ja, du hast recht, kleiner Bruder. Und weißt du, warum ich das gemacht habe?« Nicht auf eine Antwort wartend, sprach er hastig weiter. »Weil Vater seit Jahren nicht mehr reden kann und seit seinem Schlaganfall nur noch oben im Bett dahinvegetiert. Und du bist ein kontrolliertes, emotionsloses Wrack.«
Mit einer wütenden Geste warf Quin seinen silberschimmernden Dolch durch die Luft. Ohne hinzusehen glitt der Jadegriff zurück in seine raue, schwielige Hand. Danach setzte er sich mit einem Ruck auf. In seinem versteinerten Gesicht zeigte sich zum ersten Mal an diesem Tag eine Regung. Verletzt sah er Liam an. »Was soll das, verflucht noch mal? Du bist mein Bruder, du weißt, dass ich jederzeit für dich kämpfen und sterben würde.«
»Verdammt, Quin, ich rede nicht vom Kampf!« Genervt fuhr er sich durch seine blauschwarzen, struppigen Haare. »Ich rede von Gefühlen … von … von Liebe. Du redest nur mit mir, wenn du Hunger hast oder was Bestimmtes willst.« Liam hielt inne und seufzte schwer. »Ich habe Faye mein Jadeamulett gegeben, weil sie nett zu mir war, ohne dass ich sie darum gebeten habe. Ich glaube, sie mag mich – und ich sie auch«, fügte er ernst hinzu.
Quins Augen funkelten wie glühende Kohlenstücke. Kurz darauf hatte er wieder seine gleichgültige Miene aufgesetzt. »Tja, Brüderchen, das Leben ist voller verpasster Möglichkeiten. Da wir uns jetzt erst mal um die Löschung deines Centralsiegels kümmern müssen, wirst du für diese kleine Lovestory kaum Zeit haben.«
Müde ließ Liam sich wieder gegen den Baumstamm fallen. Er wünschte sich, die dunklen Dämonen würden sie endlich in Ruhe lassen. Aber das würde wohl nur ein Traum bleiben. Er würde sich damit abfinden müssen, genauso wie mit der gefühlskalten Art seines Bruders.
»Ach, ehe ichs vergesse. Ich werde Faye morgen aufsuchen und sie mit Luke in die Karateschule einladen. Wenn wir ihren Bruder schon nicht von dem tödlichen Siegel befreien können, müssen wir ihnen wenigsten beibringen, wie sie sich gegen die Natdämonen verteidigen können.«
Mit einem Surren flog der Dolch durch die Luft und bohrte sich hart in den Stamm der Akazie.
7
Zwischen Freundschaft & Liebe
P akt mit einem Ice Whisperer
Bei einer Beschwörung müssen sowohl die Schwarzmagier als auch die Nat-Charmer oder Hexen dem Ice Whisperer immer einen Pakt anbieten. Es gibt zwei verschiedene Formen der Kontaktaufnahme.
Erstens: Schwarzmagier oder Hexen beschwören einen Ice Whisperer ausschließlich, um einen dunklen Pakt zu schließen. Der umfasst in der Regel: die Verleihung dämonischer Macht, verbotenes Wissen, den Sieg über einen Feind, den Erwerb einer dunklen Fähigkeit, die Besetzung oder Ermordung eines Sterblichen.
Zweitens: Nat-Charmer beschwören einen Ice Whisperer, um mit ihm verhandeln zu können. Sie bitten nur um „gute Dienste“: die Entfernung eines Dämonensiegels oder Hilfe bei Problemen mit den Schwarzmagiern.
»Faye?« Irgendetwas rüttelte an ihrer Schulter.
»Faye?«
Ja, so heiße ich, weiß ich doch … Verschlafen stöhnte Faye auf und hob zentimeterweise ihren Kopf vom Küchentisch. Dabei fiel das dicke, rote Tagebuch zu Boden, das sie aus der Bibliothek geholt hatte und über dem sie die ganze Nacht gebrütet hatte. Ihr Vater stand neben ihr und sah sie mit hochgezogenen Schultern fragend an. Er wusste anscheinend nicht, wie er diese Situation deuten sollte. Normalerweise verbrachte sie die Nächte am Küchentisch höchstens mal, wenn am Folgetag eine schwierige Matheprüfung anstand. »Hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, was hier vor sich geht?«
Nein. Ein Teil von ihr war in Versuchung, ihn anzulügen, die Treppe hochzurennen und in ihr Bett zu schlüpfen, aber dazu liebte sie ihren Dad zu sehr. Mike begann das herrlich duftende Rührei auf zwei Teller zu verteilen und den Kaffee einzuschenken. Also rappelte sie sich schlaftrunken auf und versuchte einigermaßen frisch zu wirken.
»Tut mir leid, Dad. Luke hatte heute Nacht wieder einen Fieberanfall und ich habe schlecht geschlafen.«
Ihm fiel beinahe die gläserne Kaffeekanne aus der Hand, als er sich erschrocken zu ihr drehte. »Bist du dir wirklich sicher, dass er keinen Arzt braucht«, fragte er alarmiert.
»Ja, ich bin mir sicher«, verkündete sie und strich
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