Tanz des Lebens
einem sehr markanten Gesicht. Genau die Sorte von Jungen, die Hollys Vater mit Argusaugen verfolgte. Chief Paul Tucker. Mit seiner breiten Schultern und seiner kräftigen Erscheinung wachte Hollys Vater seit fast dreißig Jahren als Gesetzeshüter des Monterey Police Departments über das Fischerstädtchen.
Wenn Faye sich richtig erinnerte, waren seit Jahrhunderten alle männlichen Vorfahren der Familie Tucker dem Siedlerrat von Monterrey und dessen Police Department in der Madison Street treu ergeben. Seine Sergeants hatten den Auftrag, jeden Fremden in der Stadt persönlich zu überwachen. Auch Jhonfran war erst kurz bevor Faye nach England in die Verbannung ging mit seiner Mutter in die Stadt gezogen.
Faye mochte Jhonfran. Obwohl sie spürte, dass er äußerlich ruhig, aber im Inneren ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch war. So kam es ihr jedenfalls vor. Mitten in ihren Überlegungen beugte sich Holly vor und flüsterte Faye mit gesenkter Stimme ins Ohr: »Ich glaube, dass Jonny von der Karate-Schule Kommission bekommt, wenn er noch ein paar andere Schüler anwirbt.«
»Hi. Mann, das hab ich gehört.« Jhonfran drückte einen Kuss auf ihre kichernden Lippen und brachte sie damit zum Schweigen. »Ihr solltet es wirklich mal ausprobieren. Das ist nicht einfach nur eine Kampftechnik. Shaolin verbindet den Geist mit deinem Körper.«
»Amen«, verkündete Holly und prostete ihm zu. Faye jedoch blickte ihn nachdenklich von der Seite an. Im Gegensatz zu ihrer Freundin fand sie Jhonfrans Begeisterung keineswegs belustigend. Sie praktizierte schon seit Jahren Yoga und wusste von ihrem Vater, dass die Shaolin-Mönche in Burma ein Kloster leiteten, in dem sie die Kampftechnik im Einklang mit dem Körper und einer besonderen Meditation lehrten. Bei Jonny schien es gewirkt zu haben.
Er machte auf sie einen entspannteren, reiferen Eindruck als noch vor einem Jahr. Einen Moment blickte sie grübelnd auf Meer, bis sie sich erneut zu ihm umdrehte und spontan fragte: »Wenn du diese asiatische Meditation ausübst, kennst du dann zufällig auch die burmesischen Nat-Dämonen und den Formtanz zur Dämonenbeschwörung?«
»Wie bitte? Faye, war da etwa Alkohol in deinem Smoothie?« Misstrauisch griff Holly nach ihrem leeren Glas und schnupperte argwöhnisch daran. Randy nahm seinen Arm, der locker auf Fayes Stuhllehne lag, hoch und schlug spielerisch auf Hollys Finger.
»Lass sie doch ausreden. Ich habe alles über die Ausgrabungen von Mrs Hamilton gelesen. In ihrem Buch hat sie die ausgestorbenen Natgeister genau beschrieben. Wieso hörst du dir Fayes Frage und Jonnys Antwort nicht erst mal an. Wir wissen zwar alle, dass du nur an die irdische Welt denkst. Aber dank unserer reizenden Zoe …«, er zeigte auf sie, »wissen wir seit dem letzten Sommer nur allzu gut, dass es sehr wohl noch eine Parallelwelt neben der unseren gibt.«
Alle Augenpaare am Tisch blickten Zoe an und jeder von ihnen erinnerte sich an die Vollmondnacht im letzten August, in der Zoe ihnen tränenüberströmt das Geheimnis ihrer jahrelangen Fieberschübe gebeichtet und ihnen auch gleichzeitig einen tatkräftigen Beweis geliefert hatte, indem sie einen Bannspruch murmelte, woraufhin kurz darauf alle Gläser samt Inhalt auf ihren Tisch im Blue Fin Café zersprungen waren. Zudem war sie in der Lage hellzusehen.
Seitdem wussten sie, dass sie mit einer Hexe befreundet waren, die ihre Magie von ihrer Großmutter vererbt bekam, da sie die siebte Tochter einer siebten Tochter war, deren Kräfte an ihrem 15. Geburtstag erwacht waren. Alle akzeptierten diese Tatsache und hinterfragten das Mysterium nicht weiter. Warum auch? Zoe war immer noch Zoe und ändern konnte es sowieso keiner. Wozu sich also aufregen.
»Das mag ja alles stimmen.« Unruhig spielte Holly mit einer Haarsträhne. Alles, was außerhalb ihre normalen wohlstrukturierten und wohlbehüteten Welt als Tochter des städtischen Polizeichiefs passierte, machte ihr Angst und hartnäckig schloss sie vor der Realität auf der Straße die Augen.
Zoes Gabe nahm sie nur widerwillig zur Kenntnis und versuchte selten darüber zu reden, geschweige denn, dass sie wissen wollte, was die Freundin so trieb, wenn sie alleine unterwegs war. »Aber Zoe beschwört doch keine Dämonen«, warf sie schließlich ein. »Ihre Welt ist nicht böse. Mit ihren Kräutertees hilft sie den Menschen.«
»Das ist nur bedingt wahr«, erklärte Zoe und fasste nach ihrer ausgestreckten Hand auf dem Tisch. »Es stimmt. Ich bin eine weiße
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