Tanz des Lebens
hätte er fast einen Lastwagen gestreift. Fluchend wich er aus und lenkte seinen schlängelnden Tucson in die Spur zurück. Er achtete nicht auf die vorbeifliegenden Häuserzeilen, sondern dachte nach.
Es mochte ihm zwar an Gefühlen mangeln, aber er besaß schon seit jeher ein ausgezeichnetes Gehör. Ihm war nicht entgangen, dass das störrische Mondmädchen in der gestrigen Moongadawnacht ein Versprechen gewispert hatte; ebenso hatte er ungewollte gehört, wie sie beim Umkleiden in der Grotte der verhassten Hexe Shiva von ihrem Lieblingsplatz erzählte.
Was er allerdings nicht bedacht hatte, war, dass sie tatsächlich so wahnsinnig war, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät, dass er diesem wahnsinnigen Weib zu Hilfe eilte. Wenige Minuten später hatte er sein Ziel erreicht. Quin bremste scharf und wich nur knapp der Palme aus, die auf dem einsamen Parkplatz stand.
Kaum dass der Tucson zum Stehen kam, zerrte er die Tasche vom Rücksitz, stieß die Fahrertür auf, sprang aus dem Wagen und rannte los. Instinktiv endschied er sich für den kleineren der zwei Wanderwege und sprintete durch das hohe Dünengras. Als er kurze Zeit später schweißüberströmt die verborgene Lichtung in den Sanddünen erreichte, stockte ihm der Atem.
Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. Der Anblick, der sich ihm bot, war noch schlimmer, als er es sich auf seiner halsbrecherischen Fahrt hierher ausgemalt hatte.Mit einem einzigen Blick erfasste er das Drama, das sich vor seinen Augen abspielte. Faye lag halb bewusstlos in den Klauen von Erarchon; ihr Gesicht war schon vielfach gezeichnet durch blutige Kratzspuren seiner gebogenen, spitzen Krallen.
Quin hörte die heuchlerisch, einschmeichelnde Stimme des Ice Whisperers, mit der er versuchte die schwankende Gestalt in seinen Klauen zu hypnotisieren, um von ihrem Körper Besitz zu ergreifen und seinen dämonischen Geist in sie eindringen zu lassen. Nur noch knapp konnte sie seinen todbringenden Krallen ausweichen. Sie taumelte zurück, ihr zerfetztes T-Shirt schleifte an ihren Hüften, aber sie kam nicht weit. Mit einem grauenvollen Schrei stürzte der Ice Whisperer erneut auf sie zu. Seine Krallen zerfetzten den letzten Rest ihres T-Shirts, bohrten sich unter ihrem gellenden Schrei in ihren Bauch.
Faye taumelte immer weiter zurück, aber der Bannkreis des Beschwörungszirkels fesselte auch sie. In diesen Moment schlug sie verloren ihre Hände vors Gesicht, in dem letzten kläglichen Versuch, ihr Gesicht zu schützen. Erarchon stieß einen siegessicheren Schrei aus und warf sich auf sie. Quin riss sich zusammen, als er vorwärtsstürmte. Er hatte genug gesehen, um zu wissen, welcher Fehler Faye bei ihrem Beschwörungstanz unterlaufen war, aber er konnte sich jetzt keine Unachtsamkeit erlauben.
Da sie die Séance alleine begonnen hatte, konnte er nicht zu ihnen durchdringen. Ihr Bannspruch wirkte auf das äußere Kreisende. Er lag wie ein gläsernes, kuppelartiges Schutzschild über dem Kreis, in dem Faye ihn nicht hören konnte und dessen Zutritt ihm verweht war. In aller Schnelle, aber mit der ihm jahrelangen vertrauten Sorgfalt zog er einen zweiten Beschwörungskreis neben dem ihren. Zum ersten Mal in seinem 17-jährigen Leben zitterten dabei seine Hände.
Danach schloss er seinen Zirkel. Er blendete alle Gedanken aus und konzentrierte sich. Schweigend begann er, auf den magischen Linien zu tanzen, um ihren Geist zurückzuholen und Erarchon in seine Grenzen zu weisen. Sein leise beschwörender Gesang vermischte sich mit dem Rauschen des Meeres.
Grollend sprach er einen noch mächtigeren Bannspruch aus, der sich über ihren legte – und dann konnte er sie auf einmal erreichen: Unwillig schüttelte Faye den Kopf, um ihre Gedanken wieder einigermaßen frei zu bekommen. Verstört drehte sie sich um. Quins dunkle, samtschwarze Augen fingen ihren verwundeten Blick auf. Noch war kein Lächeln, kein Erkennen und keine Regung in ihrem Gesicht zu sehen. Und doch schien sie mit jeder Faser seinen intensiven Blick bis in ihr Innerstes hinein zu spüren.
Er erkannte es an ihren zuckenden Bewegungen. Für eine Sekunde war er zutiefst erschrocken von der Macht der Gefühle, die er in ihr auslöste. Schwellender gelber Qualm stieg Quin beißend in die Nase; das Zeichen, dass der Bann zwischen ihren beiden Zirkeln durch seinen Tanz gebrochen war. Mit einem Wutschrei sprang er vor den siegessicheren Nat. Als dieser mit gefletschten spitzen Zähnen auf ihn
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