Tanz des Lebens
gutes Männergespräch, dachte Quin grimmig, während er den Verschlussdeckel in seiner Hand zerquetschte und in die offene Mülltonne donnerte.
Wahrscheinlich hatte er jetzt einen Freund weniger, doch das war ihm sowas von schnuppe. Er war ein Nat-Charmer und kein kameradschaftlicher Kumpeltyp. Obwohl, sinnierte er zynisch, die Bezeichnung Charmer dem Kern seines Charakters auch nicht gerade passend traf. Er war kein Charmeur, wusste, dass er gefühlskalt war und keine normalen Emotionen empfinden konnte.
Woran das lag, wusste er nicht, aber er hinterfragte es auch nicht, sondern nahm das als eine unabänderliche Tatsache hin. Mit Sicherheit wusste er nur, dass das eisige Funkeln in seinen Augen jeden erschreckte – egal ob Mädchen oder erwachsene Männer. Aber er besaß die Gabe Ice Whisperer zu becharmen – um sie dann mit dem allergrößten Vergnügen zu töten. Der Lärm auf der Terrasse wurde lauter und fluchend stand Quin auf, um nachzusehen, was da los war.
Liam stand mit Luke im Garten und übte mit ihm die Shaolintaktik. Mit den Händen in den Hosentaschen lehnte sich Quin an die Wand und sah ihnen eine Weile still zu. Er bewunderte seinen Bruder dafür, wie schnell er für jedermann Gefühle entwickeln konnte und wie leicht es ihm anscheinend fiel, sich auf einen Menschen einzustellen. Liams Brille lag auf der niedrigen Gartenmauer, er hatte sich die Augen mit einem Tuch verbunden. Damit begab er sich in dieselbe Ausgangslage, in der sich Luke bei ihrem gemeinsamen Kampf befand.
Gebannt beobachtete Quin sie eine Weile und war überrascht, wie geschickt Luke die Karateschläge abblockte und, sich um die eigene Achse drehend, zu einem taktischen Gegenschlag ausholte. Wenn er sich aber richtig erinnerte, kam Luke niemals alleine an einen Ort. Nervös irrten seine Augen durch den weitläufigen Garten, aber er konnte sie nirgendwo entdecken. Ergeben nahm er die Hände aus seinen Taschen und ging auf die beiden zu. »Wo ist deine Schwester?«, fragte er Luke in unverfänglichem Ton.
Luke stoppte mitten in seinen Bewegungen und wandte seinen Kopf in die Richtung, in der er Quin vermutete. »Oh, sie ist nicht hier –.«
»Das sehe ich auch«, bellte Quin ihn unhöflich an.
»Chill down, Buddy.« Liam nahm seine Augenbinde ab und legte beschwichtigend eine Hand auf seine Schulter. »Faye ist nicht hier. Ich wollte sie heute Morgen besuchen, um zu sehen, wie es ihr geht, aber sie war nicht da. Also habe ich Luke eingeladen, hier mit mir zu trainieren.«
Mit Gefühlen nicht gerade reich gesegnet, fühlte Quin jetzt trotzdem ein undefinierbares Ziehen und eine unerklärliche Angst in seinem Bauch. Nervös strich er sich über das Haar und dachte nach. »Hat Faye gesagt, wo sie hingeht oder ob sie eine Verabredung hat?«
»Nein, ich habe mich auch ein bisschen gewundert«, gab Luke widerstrebend zu. »Normalerweise geht meine Schwester nirgendwo hin, ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Ich bin gegen zehn aufgewacht und da war sie schon weg. Etwas später hat mir Mrs Duval dann den Zettel vorgelesen, den sie beim Bettenmachen auf Fayes Kopfkissen gefunden hat. Da stand drauf, dass ich mir keine Sorgen machen soll und dass sie einen Weg gefunden hat, mir zu helfen.«
»Jesus!« Zwischen zusammengepressten Lippen stieß Quin die Luft aus. »Und du hast dich nicht überhaupt nicht gewundert, was das bedeutet, Liam? Ich dachte, sie ist das Mädchen, das dein ach so großes Herz erwärmt«, schrie er mit einem scharfen Blick auf seinen Bruder.
Aus Liams Gesicht verschwand alle Farbe. »Ich dachte, dass sie sich mit ihrer Mädchenclique trifft«, erwiderte er schuldbewusst.
»Nein, das tut sie sicherlich nicht«, fuhr Quin ihm ins Wort, während seine Hand unaufhörlich pochte. Alle Höflichkeitsfloskeln übergehend preschte er vor und griff harsch nach Lukes Arm. »Was liebt deine Schwester außer dir am meisten«, fragte er mit harter Stimme.
»Wasser, sie liebt Wasser«, antwortete Luke wie aus der Pistole geschossen.
»Gut.« Er ließ Luke so ruckartig los, dass dieser wankte. »Dann werde ich sie finden. Und ihr bleibt hier«, knurrte er drohend. Mit langen Schritten lief er in sein Zimmer; riss seinen Schrank auf und stopfte hektisch alle erforderlichen Utensilien in seine Trainingstasche. Dann rannte er in die Garage. Kaum im Auto, schmiss er den Motor an und trat hart das Gaspedal durch.
Als er mit völlig überhöhter Geschwindigkeit auf die viel befahrene Kreuzung der Baker Avenue abbog,
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