Tanz des Lebens
möglich über seine Feinde lernen, nur so kann man sie auch bekämpfen . Also straffte sie tapfer die Schultern und erhob sich – bereit zu lernen. Es war das erste Mal, dass sie mit Quin einer Meinung war.
Nervös und mit Herzklopfen schritt sie durch den langen Korridor. Am Ende des Flurs schob Page lautlos ein Holzpanel zur Seite und öffnete die mit Sicherheitsglas isolierte Zwischentür. Aufmunternd fasste sie Fayes Hand und verschränkte beruhigend die Finger mit ihren, dann führte sie sie langsam in den Raum hinein. Hatte sie vorher eine spartanische Gefängniszelle oder an einen weißgekachelten Krankenhausraum gedacht, so wurde Faye jetzt eines Besseren belehrt.
Page ging voran. Leicht beklommen folgte Faye ihr. Ein ganz leichter Weihrauchgeruch von Räucherstäbchen empfing sie beim Eintreten. Langsam schaute sich in dem Zimmer um. Der große Raum glich einer Grotte. Die Decke war kuppelrund und das ganze Zimmer war in einem warmen, rotbraunen Sandton gestrichen. Überall im Raum verbreiteten Feenlichter, die in kupfernen Schalen an den Wänden hingen, ein weißes irisierendes Licht und warfen zarte Schatten an die Wände.
Rechts und links an der Wand standen etwa zehn Betten, von denen acht belegt waren. Alle waren durch schwere Samtvorhänge getrennt, um dem Bettlägerigen und ihren Familien wohl einen letzten Rest von Intimität zu geben, bevor es zu Ende ging. Im ersten Bett sah Faye eine Frau liegen, deren Hände und Füße mit Manschetten gefesselt waren. Davor saß ein Mann; er weinte lautlos. Immer wieder strich er mit bebenden Fingern über das faltige Gesicht der Frau und flüsterte ihr zu, dass er sie liebte.
Faye saß ein dicker Kloß im Hals. Und dann unterdrückte sie nur mühsam einen Entsetzensschrei. Das Gesicht der Frau verwandelte sich in eine giftspeiende Fratze; ihre vormals blauen Augen waren jetzt dämonisch funkelnde schwarze Löcher. Laut kreischend spuckte sie dem Mann ins Gesicht und schrie hasserfüllte Worte in einer Sprache, die Faye nicht verstand. Ihr anfängliches Frösteln verwandelte sich in einen Angstschauer.
Gerade, als sie entsetzt einen Schritt rückwärts stolperte, sah sie etwas noch viel Grauenvolleres, das ihr die Kehle zuschnürte: Der Mund der Frau öffnete sich, doch statt einer Zunge züngelte blitzschnell eine dünne rubingezackte Schattenzeichen-Schlange heraus. Trotzdem hörte ihr Mann nicht auf, ihr Gesicht zu streicheln, doch man sah ihm an, dass er am Rande seiner Kräfte war. »Hilf mir bitte, Page. Mach, dass er endlich rauskommt. Ich kann Deborah nicht so leiden sehen.«
»Es wird bald vorbei sein, Jack. Bald hat sie es geschafft. Es dauert nicht mehr lange«, flüsterte Page. Als sie auf das Bett zuging und die Hand auf den ausgemergelten Körper der Frau legte, verschwand die Schlange und Deborahs Gesicht nahm wieder einen normalen Ausdruck an. Sanft strich sie dem alten Mann über die Schulter und kam danach wieder an Fayes Seite.
»Das war nicht Deborah, die ihren Mann verflucht hat. Das, was du gesehen hast, war nur eine Illusion. Ice Whisperer sind sehr begabt darin und für Außenstehende wirken diese Illusionen sehr real. Jack hat sich am Anfang, als der Dämon von seiner Frau Besitz ergriffen hat, auch gefürchtet. Das ist auch die Absicht der Dämonen. Sie täuschen entweder Liebesschwüre oder Bedrohung vor. So versuchen sie den Angehörigen, der diesen bedauernswerten Besessenen am nächsten steht, mürbe zu machen. Sie lauern auf diese eine, einzige Sekunde seines Zusammenbruchs. Warten, dass Jack seine Frau von ihren Fesseln befreit, mit denen wir sie ans Bett fesseln.«
»Sind alle … Kranken so, die du hier betreust?«, fragte Faye.
Page nickte. »Alle, die von einem wilden Ice Whisperer angegriffen werden. Diese Nats können sich ohne Beschwörung eines Magiers oder eines Nat-Charmers in der irdischen Welt nur manifestieren, wenn der Gezeitenschleier zwischen dem Portal der Anderswelt und der Erde sehr geschwächt und dünnhäutig ist. Das passiert niemals durch natürliche Umstände. Manchmal gelingt es einem Schwarzmagier, einen großen Riss im Portal zu erzeugen, durch den die Ice Whisperer in unsere Welt strömen können. So eine verbotene Portalsöffnung kann für den Wimpernschlag eines Augenblickes offen sein – oder für mehrere Tage. Mit so einem wilden Eintritt in einem menschlichen Körper sind Nats jedoch nur eine schwache Projektion in der irdischen Welt. Ihre Macht hängt davon ab, wie dünnhäutig der
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