Tanz im Dunkel
Black-Moon. Rue kannte mittlerweile alle, die für das Black-Moon arbeiteten, bemühte sich jedoch, Distanz zu ihnen zu halten – und zwar sowohl zu den Vampiren als auch den Menschen. Rue akzeptierte die Blue Moon-Tänzerinnen und Tänzer als Kollegen, doch in Gegenwart der Black-Moon-Künstler fühlte sie sich einfach unwohl.
“Hey, was habt ihr beide noch vor?”, rief Hallie. Sie war Ende zwanzig, hatte lockiges, braunes Haar und ein hübsches ovales Gesicht. Es war unmöglich, ihrer fröhlichen Art zu widerstehen; sogar Sean schenkte ihr ein freundliches Lächeln.
“Wir hatten gerade Training”, antwortete Sean, als Rue keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
“Ich habe gerade meine Mutter besucht”, sagte Hallie. “Es scheint ihr ein bisschen besser zu gehen.”
Es war Rue klar, dass sie nun etwas sagen musste. Sonst würde sie grauenhaft arrogant wirken. Aber vielleicht bin ich ja ein arroganter Snob?, dachte sie unglücklich. “Ist deine Mutter im Krankenhaus?”
“Nein, sie lebt im Van-Diver-Heim, zwei Blöcke entfernt von hier.”
Rue war ein paar Mal an dem Heim vorbeigegangen und hatte sich jedes Mal gedacht, was für ein trostloses Haus es doch war – besonders für ein Altenheim. “Das tut mir leid”, sagte sie.
Hallie winkte ab. “Sie ist auf der Alzheimer-Station”, erklärte sie. “Wenn ich den Job bei Sylvia nicht hätte, wüsste ich nicht, wie ich die Rechnungen bezahlen sollte.”
“Hast du noch einen zweiten Job?”
“Oh, ja. Am Tag und an den Abenden, an denen ich nicht für Sylvia arbeite, jobbe ich als Kellnerin in einer Cocktail-Bar. Eigentlich müsste ich längst wieder dort sein. Ich war nur in der Pause rasch meine Mom besuchen. War schön, euch beide zu treffen.”
Und damit eilte sie auf ihren hohen Absätzen, die laut auf dem Asphalt klapperten, davon. Ein paar Häuser weiter betrat sie eine Bar, das “Bissonet’s”.
Rue und Sean gingen weiter zu Rues Wohnung.
“Sie ist keine Heilige, aber auch nicht so oberflächlich, wie du dachtest”, sagte Sean, als sie vor Rues Haustür angekommen waren.
“Ja, das habe ich gemerkt.” Sie umarmte ihn impulsiv und lief dann schnell die Stufen hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Zwei Wochen später waren die drei männlichen Vampire und die drei menschlichen Frauen in einem karg ausgestatteten Hinterzimmer im Haus der Jaslows und zogen sich um. Connie Jaslow hatte offenbar nicht berücksichtigt, dass auch Tänzerinnen und Tänzer eventuell eine gewisse Schamhaftigkeit besaßen, und ihnen nur einen einzigen Raum zur Verfügung gestellt. In gewisser Weise hatte Mrs. Jaslow sogar recht. Tänzer wussten über Körper bestens Bescheid; Körper waren ihr Job, ihr Werkzeug. Wenigstens gab es ein Badezimmer, das die Frauen dazu benutzen konnten, um ihre Kostüme anzuziehen und die schwarzen Perücken aufzusetzen. Die Männer kamen auch ohne Rückzug ins Badezimmer zurecht.
Rick und Phil, die zwei Vampire, die normalerweise auf Partys mit einem “Sonderprogramm” für das Black-Moon gemeinsam auftraten, hatten eine Jonglier-Nummer vorbereitet. Sie waren als Erste dran. Die beiden scherzten miteinander (Phil lachte nur, wenn er mit Rick zusammen war) über die geblümten Lendenschurze, die sie trugen. “Wenigstens müssen wir keine Perücken aufsetzen”, stellte Rick fest, der größere der beiden, und musterte die anderen Tänzer grinsend.
“Wir sehen wie ein Haufen Idioten aus”, machte Julie sich Luft. Sie warf ihren Kopf in den Nacken, und das Haar ihrer schwarzen Perücke fiel ihr perfekt über die Schultern.
“Wenigstens werden wir dafür bezahlt, dass wir wie Idioten aussehen”, merkte Karl an. Denny James, der Fahrer des Kleinbusses, der sie alle zum Anwesen der Jaslows gebracht hatte, kam herein, um Karl mitzuteilen, dass die Tonanlage fertig aufgebaut war und funktionierte. Denny war ein riesiger, kräftig gebauter ehemaliger Boxer und arbeitete stundenweise für Sylvia. Megan und Julie hatten Rue – sehr zu ihrem Erstaunen – erzählt, dass Denny für Sylvia deutlich mehr war als ein bloßer Angestellter. Der Ex-Boxer schien kaum der Typ Mann zu sein, der der intellektuellen Sylvia entsprach – doch vielleicht war ja genau dieser Umstand das, was sie anzog.
Nervös wegen der bevorstehenden Performance begann Rue mit ihren Dehnungsübungen. Sie trug bereits ihr Südsee-Röckchen, das wie ein Sarong um die Hüften gewickelt war, und das dazu passende Bikinihöschen. Ein grünes Bikinioberteil
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