Tanz im Mondlicht
in seinen Armen starb, zusammen mit der inzwischen elfjährigen kleinen Tochter, wurde der emotionale Panzer, den er sich bereits zugelegt hatte, hermetisch verschlossen, mit einer eisernen Plombe versiegelt, zubetoniert.
Und dann war Jane aufgetaucht …
Dylan sann darüber nach. Er fuhr durch die Reihen der Apfelbäume, sprühte Düngemittel. Er hatte Bodenproben entnommen, um zu bestimmen, wie viel Kalk, Kalium und Magnesium gebraucht wurde. Da das Gros seiner Bäume ausgelichtet und somit auf natürliche Weise gestärkt worden war, hatte er mit Stickstoff gespart. Chemikalien ständig im Blick zu behalten war so gut wie unmöglich, und deshalb hielt er im Schatten eines halb abgestorbenen Baumes und stellte den Motor aus.
Er humpelte hinüber, lehnte seinen Rücken gegen den Stamm. Die Rinde fühlte sich gut an, bot ihm einen festen Halt. Er hatte schon vor Jahren erkannt, dass man sich auf Bäume verlassen konnte. Ihre Reaktion auf das richtige Maß an Zuwendung und Pflege war vorhersehbar. Ein Apfelbaum würde einem Menschen niemals Grund geben, seinen emotionalen Panzer zu erhärten.
Jane.
Dylan versuchte, tief durchzuatmen.
Stimmen drangen zu ihm herüber, trugen weit in der Plantage. Er hörte Chloe und Mona reden, offenbar mit jemandem, der angehalten hatte, um eine Pastete zu kaufen. Die Worte waren unverständlich, aber der Tonfall ihrer Stimmen beruhigte ihn.
Chloe hatte keine Ahnung. Genau wie Eli und Sharon. Dylan war als Einziger in das große Geheimnis eingeweiht. Jane war Chloes leibliche Mutter. Und die Frau, die zu lieben er sich, nach reiflicher Überlegung, gestattet hatte. Sie hatte ihn geküsst, ihn umarmt, sein Herz geöffnet. Er hatte seinen Panzer abgelegt. Es sollte nichts Trennendes zwischen ihnen geben. Er hatte ihr mehr über Isabel und seine Gefühle seit dem tragischen Geschehen erzählt als jedem anderen Menschen auf der Welt.
Sein Beruf hatte ihn genötigt, eine Therapie bei einem Seelenklempner zu machen. Auf Staatskosten. Sie bestand darin, dass er unbezahlten Urlaub nahm und sich einmal in der Woche auf die Couch begab. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, der Seelenklempner hatte keine Couch und war eine Sie. Die Dame hatte ein gemütliches Sprechzimmer mit Schreibtisch und zwei Stühlen, die sich gegenüberstanden, und ein Fenster mit Blick auf die Kirche gegenüber auf der anderen Straßenseite.
Dylan hatte sechsmal in Folge auf diesem Stuhl gesessen. Er hatte die Kirche betrachtet und überlegt, was er sagen sollte. Einmal hatte er eine solche Wut auf Gott verspürt, dass er die Ärztin gebeten hatte, die Jalousien herunterzulassen. Sie hatte gedacht, die Sonne blende ihn.
Am Ende der Therapie – als er der Forderung seines Arbeitgebers nachgekommen war, sich professionelle Hilfe zu beschaffen – hatte ihn die Ärztin betrübt angelächelt. Sie war hübsch und klug. Außerdem war sie sympathisch, und wenn es ihm möglich gewesen wäre, jemandem sein Herz auszuschütten, dann ihr. Sie hatte gesagt:
»Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie nur zweimal ihren Namen erwähnt haben?«
»Wie bitte?«
»Während all unserer Sitzungen haben Sie nur zweimal Isabels Namen ausgesprochen.«
»Isabel.«
»Dreimal. Warum haben Sie ihn jetzt gesagt?«
»Weil mir der Klang gefällt.« Er blinzelte in dem grellen Licht, das von dem Rosettenfenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite reflektiert wurde. Aber er wusste, das war eine Lüge. Er hatte ihren Namen nur erwähnt, um zu beweisen, dass er dazu imstande war.
Bei Jane hatte er nichts beweisen müssen.
Er hätte ihr alles erzählt, und mehr. Und er hätte im Gegenzug ihre Geschichte angehört, von Anfang bis Ende, wie immer sie auch geartet sein mochte. Er hätte aufmerksam zugehört. Er hätte sie nicht verurteilt, sondern ihr geholfen, einen Weg zu finden – aber welchen?
An dieser Stelle musste er sich zur Ordnung rufen. Weil die Geschichte so oder so kein glückliches Ende nehmen konnte. Wenn der Kontakt zwischen Jane und Chloe zu eng wurde, würden Eli und Sharon leiden. Wenn Dylan die Familie seines Bruders zu schützen versuchte, würde Jane ausgeklammert sein. Er starrte die Biene an, die von einer Wiesenblume zur nächsten flog. Das Summen hallte laut in seinen Ohren wider.
Sie hätte ihn nicht belügen, hätte ihm nicht verheimlichen dürfen, welches Ziel sie in Wirklichkeit verfolgte. Sie hatte sich bei Chloe und ihm eingeschmeichelt; enthielten ihre Gefühle oder Beweggründe überhaupt ein Körnchen
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