Tanz im Mondlicht
»Deine Mutter und meine Mutter kennen sich. Sie wusste, wie sehr sich dein Bruder ein Kind wünschte … alles schien perfekt zu passen.«
»So war es auch. Ist es noch heute.« Dylans Augen waren unerbittlich.
»Ich wollte sie behalten«, flüsterte Jane. Sie fühlte sich am Boden zerstört. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt, es gab keine Zukunft mehr für sie. Sie konnte es an Dylans Augen ablesen: Er hasste sie. Vermutlich nicht, weil sie ihre Tochter weggegeben hatte, sondern weil sie ihretwegen zurückgekommen war. Weil sie ungebeten in ihr Leben eingedrungen war.
»Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Ihr ein besseres Leben ermöglicht.«
Jane schwieg. Sie war nicht seiner Meinung. Sie dachte an die enge Bindung, die sich zwischen Chloe und ihr entwickelt hatte, und trauerte den verlorenen fünfzehn Jahren Gemeinsamkeit nach.
»Es ist besser, wenn ich jetzt gehe«, sagte sie schließlich. Noch vor wenigen Minuten war sie unendlich glücklich gewesen, hatte in Dylans Armen Erfüllung gefunden, doch nun fühlte sie sich nackt und preisgegeben, wickelte sich in das Laken, während sie sich anzuziehen begann.
Dylan stand noch immer reglos da – wie eine Statue in der blauen, von Sternen erhellten Dunkelheit, bärtig und voller Narben, unfähig, sich zu rühren oder zu sprechen. Er starrte aus dem geöffneten Fenster, vermied es, Jane anzusehen. Er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Es war, als hätte sie den Raum bereits verlassen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie versuchte, Worte zu finden, um alles richtigzustellen, alles ungeschehen zu machen. Doch das war unmöglich: Die Vergangenheit ließ sich nicht ungeschehen machen, und nun musste sie den Preis dafür zahlen.
»Sag mir nur noch eines«, ließ sich Dylan vernehmen, als sie dastand und ihn ansah, nach einer Möglichkeit suchte, Lebewohl zu sagen.
»Ja, natürlich.«
»Ihr Name. Er war Teil der Adoptionsvereinbarung – du hast verlangt, dass sie den Namen Chloe behält. Warum war das so wichtig?«
Jane schloss die Augen, erinnerte sich an die letzten Augenblicke mit ihrem Baby. Sie hatte Chloe an ihre Brust gedrückt, ihr ein Versprechen gegeben. Es war ein Geheimnis, zwischen Mutter und Kind, ebenso tiefgründig wie einfach.
»Das kann ich dir nicht sagen«, flüsterte sie.
Er nickte, mit hartem Blick. Sie sah, dass er sie abgeschrieben hatte.
»Ich weiß, du denkst, ich hätte sie nie mehr behelligen sollen. Aber …«
Dylan schüttelte den Kopf. »Das glaubst du?«, donnerte er.
»Ja.«
»Du irrst, Jane.« Er erwachte aus seiner Erstarrung. Er stapfte im Raum umher, gebärdete sich wie rasend. Sie spürte, dass er am liebsten mit der Faust gegen die Wand gehämmert hätte, und schnappte nach Luft. »Ich weiß, dass du so handeln musstest. Vermutlich hat Chloe sich sogar gewünscht, dass du Kontakt zu ihr aufnimmst – sie ist neugierig auf ihre leibliche Mutter. Was ich nicht verstehe, ist die Art,
wie
du dabei vorgegangen bist. Wie du mich verdammt noch mal belogen hast. Du hast seelenruhig zugelassen, dass ich mich in dich verliebe …«
»Dylan.« Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Er stoppte sie mit einem mörderischen Blick.
»Du hast dir mein Vertrauen erschlichen, mir die ganze Zeit etwas verheimlicht. Und beileibe keine Bagatelle. Daran könnte meine Familie zerbrechen.«
»Ich weiß. Es tut mir leid …« Wenigstens redete er mit ihr, offenbarte seine Gefühle, und eine Sekunde lang dachte sie, dass es für sie beide doch noch eine Chance gab. Sie hatten Zeit, würden es dieses Mal richtig angehen. Sie würde ihm alles erklären, vielleicht konnte er ihr vergeben. Konnte versuchen, sie zu verstehen. Sie würde ihm von der Bürde erzählen, die sie die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt hatte, ihr ganzes Erwachsenenleben: diese schreckliche, schwere, furchtbare Bürde der Liebe.
»Nein.« Er hob abwehrend die Hand.
»O Dylan.« Sie wollte ihm erklären, was ein solches Übermaß an Liebe zu einem neugeborenen kleinen Mädchen, die ein Leben lang währte, geheim gehalten und unterdrückt werden musste, bei einem Menschen anrichten konnte. Sie hatte Jane in eine Einsiedlerin verwandelt. In die Bäckerin aus den Märchen oder Fabeln, über ihre Rührschüssel gebeugt, die nicht nur Mehl und Zucker, sondern auch magische Zutaten enthielt: ihre Liebe, Gebete, Umarmungen, guten Wünsche … für das Baby Chloe. Für Chloe im Krabbelalter. Für das kleine Mädchen Chloe. Und nun für Chloe, den
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