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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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er ein gutaussehender, stattlicher Mann gewesen zu sein. Seine Augen, getrübt vom grünen Star, strahlten Intelligenz und Einfühlungsvermögen aus. Sie war froh, dass er ihr erzählt hatte, dass er Richter gewesen sei. Er lächelte sie an, als wüsste er, dass der Gedanke an Jane sie traurig stimmte.
    »Ich möchte Ihnen gerne meinen Freund vorstellen«, sagte er und lehnte sich über sie hinweg, um den schnarchenden Mann zu ihrer Linken am Arm zu zupfen. »Bill – hey, Bill! Maggie, würden Sie so nett sein und ihn aufwecken?«
    Margaret hielt nach einer speichelfreien Stelle am Arm Ausschau, wo sie ihn antippen konnte; es war seltsam zu hören, dass er sie bei einem Spitznamen nannte. Sie stupste ihn an der Schulter. »Entschuldigen Sie. Bill, richtig? Bill, Ralph möchte, dass Sie aufwachen …«
    »Rhahhnk?« Bill schüttelte sich, wurde wach. »Schlussglocke?«
    »Nein, wir sind hier nicht an der Börse, sondern in Cherry Vale, Billy«, sagte Ralph. »Wach auf – darf ich dir Maggie vorstellen?«
    »Margaret«, korrigierte sie ihn, obwohl ihr der Spitzname nicht unangenehm war.
    »Das klingt so förmlich«, meinte Ralph.
    »Nun, ich bin ein ziemlich förmlicher Mensch.«
    »Rektorin an einer Highschool.« Ralph nickte, zu Bill hinübergebeugt, so dass er mithören konnte.
    »Äh?«, fragte Bill.
    »Margaret war Rektorin!«, brüllte Ralph.
    »Sagtest du nicht, ihr Name sei MAGGIE ?«, brüllte Bill zurück.
    »Beides ist in Ordnung«, sagte Margaret, um Würde bemüht, als die beiden alten Männer die Köpfe zusammensteckten, die sich knapp über ihrer Brust trafen.
    »Bill war Börsenmakler«, sagte Ralph.
    »Hatte einen Sitz auf dem Börsenparkett der New York Stock Exchange«, erklärte Bill stolz.
    »Alle Achtung«, meinte Margaret.
    »Besitzen Sie Aktien und Anleihen?«, fragte Bill mit peinlich lauter Stimme.
    »Nicht viele. Die Bezüge im Schuldienst, wissen Sie …«
    »Was ist mit Ihrem Mann? Hat er in Wertpapiere investiert?«, erkundigte sich Bill in voller Lautstärke.
    »Warum bittest du sie nicht, dir ihr Sparbuch zu zeigen, damit endlich Ruhe ist?«, herrschte Ralph ihn an. »Du meine Güte. Beachten Sie ihn nicht, Meg.«
    »Meg?«
    »Oder Peggy, von mir aus. Peggy ist ein schöner Name.«
    »Mein Name lautet Margaret«, erwiderte sie eisig; sie kam sich langsam vor, als sei sie in ein absurdes Bühnenstück von Ionesco geraten.
    »Er ist die reinste Nervensäge.« Bill berührte Margarets Hand. »Er kann es nicht leiden, wenn jemand keinen Spitznamen hat. Mich nennt er Billy, seit ich hier bin, und das ist der Gipfel – seit dem Tod meiner Mutter hat mich niemand mehr Billy genannt.«
    »Hat er auch einen Spitznamen?«, fragte Margaret.
    »Nein«, erwiderte Ralph. »Und genau das ist mein Problem. Mit Ralph kann ich nicht viel anfangen. Ich wollte immer Chip oder Skip oder Terry oder weiß der Kuckuck wie heißen, aber nichts blieb hängen. Verflixt, hätte ich doch bloß einen Namen wie Margaret oder Bill …«
    Margaret konnte nicht umhin, ihn sich genauer anzusehen, und mit einem Mal sah sie ihn als Fünftklässler vor sich. Ein Bücherwurm, klein, vielleicht übergewichtig. Die Brille, die er trug, mochte einem Juristen ein distinguiertes Aussehen verleihen, wirkte bei einem kleinen Jungen gleichwohl unvorteilhaft. Sie lächelte. Im selben Moment begann Bill zu brabbeln, vorübergehend unfähig, der Sprache einen Sinn zu verleihen, dann brach er in Tränen aus. Margaret griff in ihren Ärmel, wie früher bei ungezählten Schülern, und trocknete ihm mit dem Taschentuch die Augen.
    »So«, sagte sie.
    »Schannen Tank«, erwiderte er.
    »Gern geschehen«, antwortete Margaret, die auch so verstanden hatte, was er meinte. Im Lauf der Jahre hatte sie vielen Einwandererkindern geholfen, sich anzupassen. Sie hatte ein Lernprogramm für Hörgeschädigte ins Leben gerufen. Auch wenn sie die Sprache eines Menschen nicht verstand, begriff sie mit dem Herzen. Als sie Bill nun ansah, der sich nicht einmal mehr bei ihr zu bedanken vermochte, trauerte sie ihren eigenen Verlusten nach, war aber gleichzeitig dankbar für das, was sie noch hatte. Ganz oben auf der Liste standen ihre beiden Töchter.
    »Sie sind ein Pfundskerl, Margaret«, sagte Ralph.
    »Danke«, flüsterte Margaret und dachte daran, wie erschreckend vergänglich das Leben war.
    »Keine Ursache«, sagte Ralph. »Wir werden uns prächtig verstehen, das weiß ich. Du auch, Billy? Ist sie nicht eine große Bereicherung?«
    Bill nickte.

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