Tanz im Mondlicht
Und fügte, als er der Sprache wieder mächtig war, hinzu: »Und ob. Sie ist eine Rose zwischen zwei Dornen.«
Dann kamen die fleißigen Helferinnen, um sie zum Mittagessen in den Speisesaal zu schieben.
Kapitel 27
Z elten war der Himmel auf Erden.
John besaß ein orangefarbenes Zelt mit einer blauen Falttür aus hauchdünnem Material, ein Hightech-Produkt, das sowohl die Wüstenhitze als auch den Frost von Maine abzuhalten vermochte. Während Rhode Island im August unter einer Hitzewelle litt, kam Maine in den Genuss herbstlicher Kühle – wolkenlose, sonnige Tage, gefolgt von kalten klaren Nächten.
Sylvie und John saßen am Lagerfeuer und blickten zum Firmament empor. Sie hatten sich in einen Schlafsack gewickelt, die Arme umeinander geschlungen, während sie dem Prasseln der Holzscheite lauschten und nach Sternschnuppen Ausschau hielten. Flammen züngelten empor, und Funken flogen, aber sie saßen weit genug entfernt, um dem Lichtschein zu entgehen und die Sterne zu betrachten.
Sie hatten ihre Reise verschieben müssen, um Margaret im Heim unterzubringen. John hatte wundervoll reagiert – im Grunde war es seine Idee gewesen, erst später zu fahren. Er kannte Sylvie und wusste, dass sie den Urlaub nicht genießen konnte, wenn sie sich Sorgen um ihre Familie machen musste. Ihre Mutter befand sich im Cherry Vale in guten Händen. Was Jane anging …
Der Gedanke an Jane bewirkte, dass Sylvie automatisch die Schultern einzog. Sie schützte damit ihr eigenes Herz, wünschte sich jedoch, sie könnte Janes schützen. Sie kannte nicht alle Einzelheiten, wusste aber, dass Dylan Chadwick die Beziehung zu ihrer Schwester abgebrochen hatte. Und Chloe hatte Jane zu verstehen gegeben, dass sie auf jeden weiteren Kontakt verzichte. Jane hatte begriffen und war nach New York zurückgekehrt. Sylvie hatte sie zum Bahnhof gefahren. Der Anblick ihrer Schwester, als sie in den Zug stieg, stocksteif, mit zusammengebissenen Zähnen und leerem, in weite Ferne gerichtetem Blick, hatte Sylvie das Herz zerrissen.
»Ich bin froh, dass wir das Datum verschoben haben«, flüsterte John ihr ins Ohr.
»Das Datum?«, sagte sie, in Gedanken versunken.
»Das Datum der Reise. Denk doch nur an die herrlichen Dinge, die wir in dieser Woche entdeckt haben; im Juli wäre es dafür vielleicht zu früh gewesen.«
Gestern Abend hatten sie das Nordlicht gesehen. Heute hatten sie den Mount Katahdin erklommen und eine Bärin mit ihrem Jungen erspäht. Und heute Abend betrachteten sie, eng umschlungen, den Meteoritenschauer, der vom Sternbild des Perseus ausging.
»Danke, dass du es so siehst«, sagte Sylvie.
»Wie sollte ich es denn sonst sehen?«
Sylvie drückte seinen Arm, der sie von hinten umfing. Sie war dankbar, dass John das Wohl ihrer Mutter am Herzen lag und anpassungsfähig war, dass er das Auf und Ab im Leben nicht persönlich nahm.
»Ist das herrlich!« Sylvie blickte zum Firmament empor. »Ich hätte mir nie träumen lassen …«
»Was?« John küsste ihren Nacken.
»Dass es etwas so unsäglich Schönes gibt. Trotz aller Bücher und Beschreibungen, wie wunderbar es ist, unter dem Sternenzelt zu schlafen und einsame Bergpfade zu erklimmen, verblassen die Worte im Vergleich zur Wirklichkeit.«
Sylvie lächelte; John spürte, wie sie zitterte, und drückte sie an sich. Sylvie war kein Mensch, der an der freien Natur oder an sportlichen Aktivitäten gleich welcher Art Gefallen fand. Die Sommermonate hatte sie mit Lesen verbracht – für sie ein Hochgenuss. Doch nach und nach dämmerte ihr, dass ihre Mutter, verletzt durch die Liebe zu ihrem Vater, der Welt den Rücken gekehrt und sich den Büchern zugewandt hatte, mit ihren Töchtern. Das sollte kein Vorwurf sein – Sylvie vergötterte ihre Mutter, bewunderte sie, weil sie die Liebe zur Literatur und zum Lernen gefördert hatte. Doch das Beisammensein mit John, die kalte Luft zu spüren, den Schlafsack zu teilen, den Rufen der Seetaucher auf dem dunklen See zu lauschen – das waren wertvolle Erfahrungen, die sie nicht missen mochte.
Nur eines fehlte, dann wäre ihr Glück vollkommen gewesen.
Jane.
Wie konnte Sylvie glücklich sein, wenn ihre Schwester litt? Sie blickte zum Himmel empor. John hielt sie in den Armen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sich Sylvie verliebt. Sie hatte sich immer mit einem Schutzwall umgeben, jeden Versuch abgeblockt, einen Mann zu lieben und Gefahr zu laufen, von ihm verlassen zu werden. Ihre Teenagerzeit hatte sie damit verbracht, zu
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