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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Kühlschrank sehen. Zwei elfjährige Cousinen, die ihre Köpfe zusammensteckten und in die Kamera lächelten. Die Ecken der Fotografien waren eingerollt, eine Folge der jahrelangen Feuchtigkeit. Bei dem Gedanken, dass dieses Foto Isabel um Jahre überdauert hatte, erschauerte sie innerlich. Sie wusste, dass es Dylan ähnlich ging.
    Wenn sie an Dylan dachte, musste sie die Augen schließen.
    Während sie mit geschlossenen Augen am Tisch saß und der köstliche Duft der Hochzeitstorte ihre Sinne erfüllte, hätte sie beinahe die Türglocke überhört. Das Geräusch war sehr schwach, als wäre die Tür zur Konditorei von einem Geist geöffnet worden, der sich von den Straßen in Chelsea hereingeschlichen hatte.
    Weg mit dir,
dachte sie.
    Sie wollte nicht mehr backen. Nicht heute – nie mehr. Ein weiteres Fest würde ihr Herz nicht verkraften. Vielleicht würde der Kunde, der auf leisen Sohlen hereingeschlichen war, genauso unbemerkt wieder gehen, wenn sie keinen Laut von sich gab. Der Duft des Kuchenteigs im Ofen war gleichwohl ein verräterisches Indiz ihrer Anwesenheit. Sie wusste, dass derjenige, der ihren Laden betreten hatte, zu Recht annehmen würde, dass Kuchen sich nicht von allein backten.
    Die Sache war die, dass sie dieser Erinnerung an Dylan noch ein Weilchen nachhängen wollte. Dylan in seiner Küche, bärtig und ein wenig zerlumpt in seiner Arbeitskleidung, mit schweren Stiefeln, rauhen Händen, grünen Augen. Jane hätte schwören mögen, dass sie in der Lage gewesen wäre, für immer und ewig in seine Augen zu schauen. Sie verfolgten sie Tag und Nacht.
    Die Türglocke läutete abermals.
    Gut
, dachte sie.
Sie sind weg.
    Doch plötzlich überkam sie eine instinktive Ahnung, traf sie wie der Blitz. Verschlug ihr den Atem. Sie sprang auf und stieß mit dem Schienbein gegen den Stuhl, als sie ihn zu umrunden versuchte. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie bis zum Knie, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie rannte durch die Küche in den kleinen Vorraum, der als Büro diente – und nichts weiter enthielt als einen Schreibtisch und zwei Stühle, um Bestellungen aufzunehmen.
    Dort war niemand. Sie blickte aus dem Schaufenster – Glas, mit dem Firmennamen »Calamity Jane« auf der Vorderseite, die Buchstaben von drinnen spiegelverkehrt. Ihr Blick huschte an den Buchstaben vorbei, zur Straße. Eine ruhige Straße in Chelsea, gesäumt von Calley-Birnbäumen, die schwer an ihren grünen Blättern und dem Staub einer Großstadt gegen Ende August trugen. Autos parkten auf beiden Straßenseiten. Drüben stand ein roter Pick-up.
    Ein roter Pick-up.
    Der Anblick traf sie ins Herz. Vierradgetriebe, ein rotes Fahrerhaus, eine offene Ladefläche, die etwas Grünes enthielt. Ein Pick-up wie Dylans, der Grünpflanzen transportierte. Sie beugte sich vor, mit der Stirn die Fensterscheibe berührend, um das Nummernschild zu erkennen.
    Ein Nummernschild aus Rhode Island. Weiß mit blauen Zahlen, ein Segelboot hart am Wind, die Worte
Ocean State.
Sie war dermaßen in die Zahlen, Buchstaben und die Abbildung des Schiffes vertieft, dass sie kaum einen Blick für die Insassen übrig hatte.
    Sie sah ihre Füße: weiße Laufschuhe, Stiefel mit Schlammkruste.
    Und ihre Beine: Jeans. Sie trugen beide Jeans.
    Und ihre Gesichter: Sie lächelten nicht, waren aber auch nicht ernst. Sie wirkten aufgeregt und ein wenig hoffnungsvoll, wie zwei Menschen, die soeben zwei Bundesstaaten durchquert hatten, um einer alten Freundin einen Überraschungsbesuch abzustatten, sich aber nicht ganz sicher waren, wie man sie empfangen würde. Sie sahen Jane durch die Fensterscheibe an, und sie erwiderte den Blick.
    Dann öffnete sie die Eingangstür. Hitze stieg vom Gehsteig auf, schlug ihr ins Gesicht. Sie wankte beinahe unter dem Ansturm von Hitze, Geistern, Liebe und Angst. Ihr Herz klopfte wie verrückt, verschlug ihr die Sprache.
    Chloe ergriff die Initiative. Sie trat einen Schritt vor.
    »Ich habe dich vermisst«, sagte sie.
    Jane sah in ihre Augen, von ihrem Anblick gebannt, unfähig, sich zu bewegen. Dylan ragte hinter ihrer Schulter auf und nickte, als gäbe er Jane die Erlaubnis, das zu tun, was sie sich am meisten wünschte – was ihr ein dringendes Bedürfnis war. Und da sie immer noch keinen Ton herausbrachte und Worte ohnehin unzulänglich gewesen wären, beugte sie sich stumm vor, mit ausgebreiteten Armen, um ihre Tochter an ihr Herz zu drücken.

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    EPILOG
    D as ist der Erntemond.«
    »Nein, der kommt erst im Oktober.

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