Tanz im Mondlicht
Dieser hier hat einen anderen Namen. Wie nennt man den Vollmond im September?«
»Ferienende-Mond?«
»Mal den Teufel nicht an die Wand.« Chloe kreuzte die Finger, wie um Vampire zu vertreiben. »Du darfst den vermaledeiten Labor Day verwünschen, weil er das Ende des Sommers einläutet.«
»Du bist ja richtig poetisch!«, erwiderte Mona. »Du solltest dir überlegen, ob du dein täglich Brot nicht mit Sinnsprüchen für Glückskekse verdienen willst.«
»Vielleicht ist das ja der Glückskekse-Mond«, sagte Chloe, während sie in der Kuppel der Scheune saßen und zusahen, wie der Vollmond aufging; atemberaubend, riesig und orangegelb erhob er sich über den Wipfeln der Bäume und verbreitete sein Licht über der Plantage wie eine von Janes Tortenglasuren.
»Möglich. Also, sage mir, weise Frau: Was verheißt uns das Schicksal?«
Chloe überlegte. Da saß sie mit ihrer besten Freundin in der Kuppel von Onkel Dylans Scheune, während sich unten die Gäste versammelten. Die Idee vom Tanz auf dem Heuboden war auf Chloes Mist gewachsen, und sie hatte tatsächlich gefruchtet. Jane war dort unten mit Onkel Dylan – sie unterhielten sich mit Chloes Eltern. Janes Schwester und ihr zukünftiger Schwager waren ebenfalls gekommen. Sogar Janes Mutter hatte zugesagt – das Pflegeheim wollte sie in einem Van vorbeibringen. Damit wäre die Familie komplett. Chloes Eltern hatten das seltsamerweise für eine gute Idee gehalten.
»Lass mich raten«, fuhr Mona fort. »Wahrsagerinnen würden sagen: ›Hüte dich vor Haien im Delfinpelz‹, oder so.«
Chloe kicherte. Mona hatte recht. Sich an das Fenster der Kuppel lehnend, blickte sie auf die Erde hinunter, auf die Stelle, an der Onkel Dylan die beiden Marodeure geschnappt hatte. Er hatte seine Drohung wahr gemacht und die Polizei benachrichtigt, und sowohl Zeke als auch sein Freund Brad waren festgenommen worden.
»Ich würde gerne wissen, ob Zeke typische Gefängnis-Tätowierungen mitbringt«, sagte Mona nachdenklich. »Er wird seinen Delfin als Schutz brauchen …«
Chloe nickte. Schaudernd dachte sie daran, dass sie noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen war. Doch nun begannen die Musiker, ihre Instrumente zu stimmen – Gitarre, Bass und Fiedel –, und die Klänge waren zu schön, um unheilvollen Erinnerungen nachzuhängen. Sie schwebten durch die Dachsparren und das Heu empor.
»Früher dachte ich, dass hier oben Engel leben«, gestand Chloe. »In der Kuppel.«
»Ist das dein Schicksal?«, Mona kicherte.
Chloes Augen weiteten sich. Weil es in gewisser Hinsicht so war … Sie war von guten Geistern geliebt und behütet worden. Von Isabel, den Plantagenkatzen, der Hirschkuh, von Jane, ihrer leiblichen Mutter. »Könnte durchaus sein, dass es Engel in der Kuppel gibt«, sagte sie.
»Und was fällt dir zu meinem Schicksal ein?«
»Beste Freunde sind Gold wert.«
»Nein, ich möchte etwas Tiefschürfendes hören.« Chloe warf ihr einen ungehaltenen Blick zu, als würde sie Monas unersättliche Forderungen an ihr Herz und ihren Verstand als Plage empfinden. In Wahrheit liebte Chloe sie wie eine Schwester und hätte sie am liebsten umarmt. Aber das wollte nichts heißen, denn heute Abend hätte sie die ganze Welt umarmen können.
»Wie wäre es damit«, schlug Chloe vor. »In Ermangelung von Schwestern finden wir Schwestern. In Ermangelung von Müttern finden wir Mütter. In Ermangelung einer Familie bist du meine Familie.«
»Das ist die Weissagung für mein Schicksal?«, fragte Mona, als der Mond höher stieg und die Musiker richtig zu spielen begannen.
»Ja.«
»Gefällt mir«, erwiderte Mona schlicht. Und dann nahm sie Chloe die Bürde der Umarmungen ab, indem sie ihre Beste-Freundin-Schwester-Familie so stürmisch umarmte, wie es die beengte Kuppel erlaubte.
Der Tanz auf dem Heuboden war im vollen Schwang. Sylvie und John wagten gleich den ersten Tanz, den »Kentucky Waltz«. Sylvie trug einen weiten türkisfarbenen Rock und eine weiße Bauernbluse. Die Bluse war bunt bestickt und stammte aus ihrer Highschool-Zeit. Sie musste sie zu diesem Anlass aus einer Truhe auf dem Dachboden ausgraben. Ihre Mutter würde, falls sie kommen sollte, missbilligend mit der Zunge schnalzen – sie war immer der Meinung gewesen, die Bluse sei etwas zu durchsichtig, um sie in der Öffentlichkeit zu tragen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn John und sie ihre Mutter abgeholt und selber hergebracht hätten.
Wahrscheinlich zitterte sie, denn John drückte
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