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Tanz im Mondlicht

Tanz im Mondlicht

Titel: Tanz im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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und hatte das Gefühl, als wäre ihr Körper zerrissen, wie bei einer Anziehpuppe aus Papier. Alle flüsterten und sagten, sie sei traumatisiert. Sie hatte nicht mehr viele Erinnerungen an diese Zeit, außer dass Onkel Dylan auf ihrer Bettkante gesessen und ihre Hand gehalten hatte.
    »Deine Eltern lieben dich. So wie ich Isabel liebe«, hatte er gesagt.
    Chloe war damals sieben gewesen. Sie hatte sich wie ein Baby gefühlt und mit einem Mal wieder alles auf eine völlig andere, urwüchsige Art verstanden. Worte waren belanglos. Sie hatte in seine Augen geschaut – die Isabels glichen – und seine Wange berührt. Sein Bart fühlte sich stachelig unter ihren Fingerspitzen an.
    »Sie ist fort«, hatte Chloe gesagt; ihre Stimme zitterte, als die ersten Worte seit Wochen über ihre Lippen kamen.
    Onkel Dylan hatte den Kopf geschüttelt. »Nein. Wenn du jemanden liebst, ist er immer bei dir.«
    »Das stimmt nicht.« Chloe hatte zu weinen begonnen, als wüsste sie besser als er, wie es ist, wenn man einen Menschen verliert und vermisst, obwohl sie keine Ahnung hatte, woher. »Sie ist fort«, hatte sie geschluchzt. »Fort …« Das Wort war ein schwarzes Loch, riss sie zurück in eine andere wortlose Zeit, dieses schwarze Loch, das ihre leibliche Mutter verschlungen hatte. »Hat sie mich nicht liebgehabt? Warum ist sie fortgegangen?« Oje, nun brachte sie auch noch all ihre Verluste durcheinander …
    Onkel Dylan hatte sie einfach in die Arme genommen. Ihre Eltern hatten regungslos hinter ihm gestanden, und nach einer Weile hatte ihr Vater ihm auf die Schulter getippt und ihre Mutter hatte sie in die Arme genommen. Sie erinnerte sich an eindringliches Geflüster, an das Gefühl der Peinlichkeit, als hätte sie irgendwie die Gefühle ihrer Mutter verletzt. Natürlich hatte sie gespürt, dass Chloe die Verbindung zu einer anderen, verschwundenen Person in ihrem Leben aufzunehmen versuchte, ihrer leiblichen Mutter, die sie weggegeben hatte.
    Onkel Dylan hatte sich danach nie wieder den Bart rasiert. Er stutzte ihn; er sah gut aus, grau-braun gesprenkelt, wie Salz und Pfeffer. Chloe wusste, warum er sich nicht davon trennen konnte: Isabel hatte ihn berührt. Chloe wusste es einfach, auch ohne Worte. Isabel hatte sein stoppeliges Gesicht geküsst, und Onkel Dylan hatte beschlossen, sich nie wieder zu rasieren.
    Das war in ihren Augen wahre Liebe.
    Als Chloe ins Haus lief, um den Arbeitskittel anzuziehen, klopfte ihr Herz zum Zerspringen. Sie versuchte, sich zu beruhigen, während sie ihr Gesicht mit klarem Quellwasser wusch und die weiße Seife rubbelte, bis sie sich in cremigen Schaum verwandelte. Sie blickte in ihre Augen, die sie aus dem Spiegel ansahen. Wenn sie sich lange genug darauf konzentrierte, würde sie vielleicht das Antlitz ihrer leiblichen Mutter entdecken und sie fragen,
warum, weshalb …
    Sie spülte ihr Gesicht unter fließendem Wasser ab und ging nach draußen, zum Wagen. Ihr Vater wusch ihn jeden Samstag; ihre Mutter säuberte ihn fast jeden zweiten Tag mit dem tragbaren Staubsauger, damit er makellos blieb. Die Auseinandersetzungen ihrer Eltern hinter der geschlossenen Tür waren grauenvoll, aber ihre Besitztümer hielten sie tadellos in Schuss. Das alles schien mit der Tatsache zusammenzuhängen, dass ihrer Mutter schnurgerade Stiefmütterchen-Reihen lieber waren als der Wildwuchs einer Obstplantage. Wohingegen Chloe alles Wilde liebte und davon träumte, sich darin zu verlieren. Wie war sie nur in diese Familie geraten?
    Vielleicht war sie in Wirklichkeit eine Katze. Als sie klein war, hatte sie geträumt, in einem reichverzierten blauen Kinderwagen mit silberner Lenkstange zu liegen, der von ihren Eltern geschoben wurde; dann und wann blieben sie stehen, um sie voller Stolz den Nachbarn zu zeigen. Und wie die Nachbarn erschrocken nach Luft schnappten, als sie sahen, dass Chloe kein kleines Mädchen war, ja und nicht einmal die Tochter der beiden, sondern ein winziges wildes Tigerbaby mit schwarzen und orangefarbenen Streifen und hellgrünen Augen – genau wie das Plüschtier in ihrem Kinderbettchen.
    Während der Fahrt zu dem großen Supermarkt in der Stadt, in dem sie nach der Schule arbeitete, blickte sie nachdenklich aus dem Fenster. Ihre Mutter schaltete das Radio ein, suchte ihren heißgeliebten Musiksender, wo jede Melodie wie eine Werbung für typisch weibliche Produkte anmutete. Chloe stöhnte. Ihre Mutter ignorierte sie lächelnd.
    Chloe kramte in ihren Taschen. Sie hatte vorhin eine

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