Tanz im Mondlicht
Sie haben grauenvolle Nebenwirkungen – sie benebeln den Verstand und bewirken, dass mein Gedächtnis nachlässt. Obwohl ich sie abgesetzt habe, bin ich noch immer so … unbedachtsam.«
»So was, Mom?«
»So unverständlich.« Sie sprach in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, ganz Rektorin, aber ihre Augen verrieten ihre Bestürzung über die falsche Formulierung und die Hoffnung, dass ihre Töchter nichts bemerkt hatten.
»So vergesslich?«, ergänzte Jane.
»Genau.« Margaret küsste ihre Puppe, der sie den Namen Lolly nach ihrer verlorenen Vorgängerin gegeben hatte. »Ihr wisst schon, was ich meine.«
Zu sehen, wie ihre Mutter die Babypuppe in den Armen hielt, versetzte Jane einen Stich. Was würden die Generationen von Schülern und Eltern denken, wenn sie sehen könnten, wie Margaret Porter – die würdevolle, intellektuell anspruchsvolle Rektorin und Mutter – mit einer Puppe spielte? Obwohl Jane sie gekauft hatte – mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht gerechnet … ihre Mutter flüsterte mit der Puppe, als vertraue sie ihr ein Geheimnis an. Jane schauderte. Sie erinnerte sich, wie sie selber mit einem Baby geflüstert hatte, vor langer Zeit. Sie schloss die Augen; ihre Mutter hatte zwei Kinder in den Armen gehalten und großgezogen, aber sie hatte dafür gesorgt, dass Jane diese Möglichkeit versagt blieb.
»Großer Gott!«, rief Sylvie, noch immer mit dem Auspacken der Lebensmittel beschäftigt. Sie beugte sich vor, um die Packung mit den Hamburgern zu begutachten, die sie in der Hand hielt.
»Was ist?«, erkundigte sich Margaret.
»Seht euch das an …« Sylvie entfernte ein Stück weißes Einwickelpapier von der Plastikverpackung des Fleisches.
»Was steht da?«, fragte Jane.
»
Kühe sind schön. Wollt ihr sie wirklich verzehren?
«
»Seltsam«, gab Margaret zu bedenken.
»Wie ärgerlich«, sagte Sylvie. »Ich bin extra zum SaveRite in Crofton gefahren, nur um frische Beeren zu kaufen, die sie noch nicht mal hatten, und komme mit Fleisch zurück, an dem sich jemand zu schaffen gemacht hat!«
»Es gibt überall Verrückte«, erklärte Margaret nachdrücklich.
»Sobald ich deine Blutzuckerwerte kontrolliert habe, rufe ich den Filialleiter an. Wir werden dieses Fleisch nicht anrühren.«
Jane sah zu, wie Sylvie zum Frühstückstresen ging, um das Testset zu holen. Ihre Haltung brachte zum Ausdruck, dass sie die Pflege ihrer Mutter und den aufmüpfigen Zettelschreiber als doppelte Bürde empfand.
Sie gehört unbedingt ins Bett
, flüsterte sie Jane lautlos zu; Jane zuckte die Achseln und antwortete ebenso lautlos
Entschuldigung …
Als sich Sylvie anschickte, mit der Lanzette den Finger ihrer Mutter zu ritzen, reichte sie Jane die Puppe.
Margaret lächelte Jane an. »Albern, findest du nicht? Dass jemand in meinem Alter eine Babypuppe im Arm hält. Aber sie erinnert mich an die erste Lolly … und noch mehr an meine Mädchen. Es waren die beiden glücklichsten Tage in meinem Leben, als ihr geboren wurdet.«
»Halt still, Mom«, mahnte Sylvie.
»Und nun seid ihr beide zu Hause … es kommt mir wie ein Traum vor, euch beide unter einem Dach, bei mir zu haben.« Margarets blaue Augen waren hell und trübe vom grauen Star. Ihr einstmals glänzend kastanienbraunes Haar hatte nun einen zarten Grauton angenommen. Tränen stiegen in ihre Augen, liefen über die faltigen Wangen. Jane beugte sich vor. Die Wangen ihrer Mutter waren weich wie Samt.
Jane und ihre Mutter blickten sich an, die Babypuppe zwischen sich.
»Manchmal war ich mir nicht sicher, ob du jemals zurückkehren würdest.«
»Du wusstest, dass ich komme.«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Nur zu Weihnachten, zu meiner Abschiedsparty anlässlich meiner Pensionierung … ein Blitzbesuch und nichts wie weg. Ich hatte mir immer so gewünscht, dass du bleibst. Dass du dein altes Zimmer im ersten Stock beziehst, ohne konkrete Pläne, wieder abzureisen.«
Janes Haut kribbelte, als sie ihr die Puppe zurückgab. Genau deshalb war sie ihrem Elternhaus so gut es ging ferngeblieben. Denn sie konnte bei aller Liebe und trotz des Wissens, dass Sylvie Hilfe bei der Entscheidung brauchte, wie es mit der Pflege weitergehen sollte, nie und nimmer vergessen, was ihre Mutter ihr angetan hatte.
Jane half Sylvie, die restlichen Lebensmittel einzuräumen.
»Soll ich uns einen Tee machen?«, fragte Sylvie.
»Das wäre wunderbar«, sagte Margaret.
Jane stand wie versteinert da, das Paket mit den tiefgekühlten Beeren in
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