Tanz im Mondlicht
schauen, Jane.«
»Genau das tue ich. Nach vorn schauen.«
»Du spielst mit dem Gedanken, Kontakt zu ihr aufzunehmen, richtig?«
»
Sie
hat einen Namen, Sylvie. Du warst dabei, als ich ihn ihr gegeben habe.«
»Bitte, Jane!«
»Ihr Name ist Chloe.«
Sylvies Gedanken rasten. Sie zitterte, erinnerte sich an die Situation, auf die Jane anspielte. Dann hörte sie, wie ihre Mutter oben aufzustehen begann. Jane lief zur Treppe. In dem Moment bog ein Auto in die Zufahrt ein. Sylvie hörte die Reifen auf dem Kies. Sie spähte zum Fenster hinaus und sah John aussteigen, eine Schachtel Pralinen unter den Arm geklemmt.
»Sag mir, dass
sie
nicht der Grund für deine Heimkehr ist«, rief Sylvie, der mit einem Mal klarwurde, dass die Sorge um die Gesundheit ihrer Mutter nicht vorrangig gewesen war. Als Jane nicht gleich antwortete, fügte Sylvie hinzu: »Ich meine, Chloe.«
»Doch, das ist sie«, erwiderte Jane ruhig.
Und dann klingelte es an der Tür, und Jane ging nach oben.
Chloe ging in den Garten hinter dem Haus, um die Katzen zu füttern. Die Nacht war dunkel. Der Halbmond tauchte die Plantage in einen milchigen Schein, der sich in den Zweigen verfing. Ein magisches Licht ging von ihm aus, und sie wusste, dass die Katzen um Mitternacht tanzen würden. Die einzigen Geräusche kamen von den Katzen, die aufgeregt miauten, weil sie gefüttert wurden, und vom Wind: ein Rascheln in den neuen Blättern, ein Knacken der dünnen Zweige, die gegeneinander schlugen.
Plötzlich durchbrach das Röhren eines Motors die friedliche Stille. Chloe hörte, wie einer der Marodeure mit seiner Geländemaschine auf der Plantage herumkurvte, doppelt so laut und erheblich schneller als der Traktor ihres Onkels. Ein Scheinwerfer raste kreuz und quer durch das Blattwerk, tief auf der Seite liegend. Sie ließ die Tüte mit dem Katzenfutter fallen, stürzte sich wie ein Reh ins Gebüsch, kletterte über den Zaun und rannte mit gesenktem Kopf auf das Licht zu.
Ihr Atem ging stoßweise. Sie kauerte sich auf den Boden, hielt Ausschau, wartete auf die Chance, ihm die Hölle heißzumachen. Sie würde aus dem Gebüsch auftauchen wie ein berittener Polizist bei einer Highway-Patrouille und ihn von seiner Maschine herunterreißen. Der Motor heulte auf. Die Räder drehten durch, und sie hörte, wie die Erde hinter ihnen aufgewirbelt wurde. Der Scheinwerfer näherte sich in Windeseile. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Ein Reifen stieß gegen eine Wurzel; das Motorrad machte einen Satz, kippte und krachte zu Boden. Das Geräusch von Metall, das gegen Felsgestein prallte, tat ihr weh, genau wie der dumpfe Laut, mit dem der Körper des Fahrers auf dem Boden landete. Sie hörte eine Stimme: »Verfluchte Scheiße!«
Erschrocken spähte Chloe über das hohe Gras. Ein junger Mann rappelte sich gerade hoch, wischte sich den Schmutz ab. Er war groß und mager. Das Mondlicht enthüllte zerrissene Jeans und eine Lederjacke. Er hatte langes blondes Haar, zum Pferdeschwanz gebunden. Er inspizierte sein Handgelenk, und sie fragte sich, ob es gebrochen war.
»Das hier ist Privatgelände«, sagte sie barsch.
»Was? Wer ist da?« Er spähte in die Richtung, aus der ihre Stimme kam.
»Ich schlage vor, du verziehst dich mit deiner Schrottkiste auf die
öffentliche
Straße und schiebst sie nach Hause.«
»Du kannst mich mal.« Er beugte sich über seine Hand.
»Hast du dir das Handgelenk gebrochen?«
Er antwortete nicht. Sein Körper war gekrümmt wie ein Fragezeichen; vermutlich hatte er Schmerzen. Ihre Eltern hatten ihr von jeher eingeschärft, nicht mit Fremden zu sprechen. Sie war mutterseelenallein auf der Plantage, mit einem fluchenden Motorradfahrer. Doch genauso wenig, wie Chloe den Gedanken an verletzte Tiere ertragen konnte, konnte sie beim Anblick eines verletzten Menschen Gleichmut bewahren. Sie kroch aus ihrem Nest und bahnte sich den Weg über den von tiefen Furchen durchzogenen Boden.
»Lass mal sehen.« Sie trat näher.
»Ist schon okay.« Er umklammerte immer noch sein Handgelenk. Die Geländemaschine lag zu seinen Füßen, die Blechverkleidung am Vorderrad war eingedrückt. Es roch nach Öl, und Chloe entdeckte eine schwarze glänzende Lache auf dem Boden.
»Wie nett«, sagte sie.
»Was?«
»Das Land zu verpesten. Das ausgelaufene Öl dringt unmittelbar ins Grundwasser ein. Weißt du, was passiert, wenn Wildtiere aus der Quelle trinken? Und dann sickert es in die unterirdischen Nebenflüsse, gelangt in die Twin Rivers und von dort in
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