Tanz mit dem Engel
mehr. Zwei Paare kämpften damit, sich gegenseitig einen Fußballdreß anzuziehen, während gleichzeitig ein Fußball unter dem Trikot gehalten werden mußte. Die Wettkämpfer lachten wie Wahnsinnige. Das Publikum lachte. Der Showmaster lachte. Und Winter lachte, immer mehr lachte er. Er lachte immer weiter, als brauchte er es. Er spürte die Tränen in den Augen, den Schmerz im Zwerchfell.
Die Lachmuskeln brauchen Training, dachte er, es ist höchste Zeit, verdammt noch mal.
Das Lachen flaute zu einem kurzen Schluckauf und einem Seufzer ab.
Er stand auf und ging zum Kühlschrank, um eine Flasche Cava herauszunehmen. Er hatte sie in dem Oddbins-Laden in der Marloes Road gekauft, ein paar hundert Meter vom Hotel. Er öffnete den spanischen Sekt mit einem Knall und goß ein wenig in eines der
Trinkgläser.
Es ist armselig, aber dieses Leben habe ich gewählt, dachte er und trank, und die Bläschen rollten über die Zunge.
Mit dem Glas in der Hand ging er zum Sofa zurück. Der Computerschirm leuchtete auf dem Tisch in der Kochnische, wie eine Erinnerung an die Bosheit auf der Welt. Er ging am Sofa vorbei und öffnete das Fenster. Der Abend war Ruß und Gold vom Licht hinterm Haus. Er hörte den Verkehr auf der Cromwell Road wie einen Dunst aus Geräuschen. Er roch einen grünen Duft. Der war mild und gleichzeitig kühl, als ob die Luft in Schichten gelegt wäre.
Eine Sirene begann im Norden zu heulen und wurde nach wenigen Sekunden abgeschaltet. Das war die Musik der Stadt.
Der Himmel war ein Viereck in Indigo, als er den Blick hob. Das ist ein Abend für Jazz, dachte er und zündete eine Especial an Er stand im Rauch, der nach Leder und getrockneten tropischen Früchten duftete. Er hielt die Düfte im Mund zurück und blies sie dann durch das offene Fenster in den Abend hinaus. Der Rauch stieg und war fort.
Durch ihn hatte er geglaubt, einen Täter zu sehen. Das undeutliche Bild eines eiskalten Mörders.
Ich muß von diesem Gedanken wegkommen, dachte er. Tätern mangelt es nicht an Gefühlen. Erinnerungen können ihnen fehlen, aber die Gefühle gibt es irgendwo. Sie haben gelernt abzuschalten. Die unangenehmen Gefühle werden abgewehrt. Es findet sich immer ein Bodensatz. Wir müssen bis zum Boden vordringen. Anstatt nach unten zu gehen, verfolgen wir nur, was mit den Gefühlen geschieht, was nachher geschieht. Wir verstärken ein stereotypes Bild.
Das Verbrechen ist für alle ein Trauma. Das muß so sein, sonst wären wir für alle Zukunft verloren, dachte er und tat einen Zug.
Er glaubte, im Nebel, den er erzeugt hatte, wieder ein Gesicht zu sehen, es war nun deutlicher, aber es floß mit den Kringeln davon und löste sich auf. Die Erinnerungen, dachte er wieder. Es gibt etwas in der Erinnerung, das mir bei diesem Fall helfen kann. Was ist es? Ist es etwas, woran ich selbst mich erinnere? Sind es verlorene Erinnerungen? Was sagte Macdonald noch? Er sagte etwas von Erinnerungen und Fragmenten. Ein anderer hat etwas zu mir gesagt. Die Erinnerung, dachte er und griff sich an die Stirn: Ich bin unzulänglich, ich habe eine Antwort, aber ich bin unzulänglich, ich kann nicht einmal eine richtige Frage stellen.
Er ging zum Tisch und schenkte sich Sekt nach. Er trank, aber es schmeckte wie kohlensäurehaltiger Essig in seinem Mund. Ich kann nicht mit mir selbst leben, wenn ich das hier nicht löse, dachte er und ließ das Glas stehen. Dann schaltete er den Fernseher aus und wählte Bertil Ringmars Nummer.
»Möllerströms Computer ist explodiert«, sagte Ringmar.
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, daß er uns andern beweisen konnte, wie weit voraus er ist, wie vorausschauend er gewesen ist, daß er alles in andern Computern und auf Disketten und in andern Programmen gespeichert hat.«
»Ein großer Tag also für Janne«, sagte Winter.
»Aber das war ein Zeichen«, sagte Ringmar, »unsere Kisten beulen sich buchstäblich aus von all den Informationen.«
»Ich weiß.«
»Es lastet jetzt ein unerhörter Druck auf uns, und du bist nicht hier, um mit der britischen Presse englisch zu reden.«
»Bis jetzt habe ich mich hier davor gedrückt, aber jetzt geht es nicht mehr, meint Macdonald.«
»Wie ist er?«
»Gut.«
»Ist es sinnvoll?«
»Ich glaube schon. Ich werde morgen einige Gespräche führen, Verhöre.« »Wir haben neue Zeugenaussagen.« »Und?«
»Wir haben den Wert noch nicht überprüfen können, aber es gibt eine interessante Sache.«
Winter wartete. Die Zigarre war in seiner Hand
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