Tanz mit dem Engel
bekam er nicht auf. War nicht vorher der Bulle dagewesen und hatte sie aufgezogen?
Er zog fester, und die Schublade gab nach, und er flog auf den Rücken und kam sich wie ein Idiot vor. Er sah sich um, ob er Zuschauer hatte. Er fühlte sich beobachtet. Die Schublade war leer.
Er lag auf dem Boden und sah sich das Zimmer von unten an. Es war eine sonderbare Perspektive. Ein Spiegel hing an der Wand über der Kommode, der nun die unterste widerspenstige Schublade fehlte. Winter lag zweieinhalb Meter vom Spiegel entfernt, schräg nach links unten, und er sah das Glas des Spiegels, aber er sah auch etwas hinter dem Spiegel. Dieser hing frei, und das machte ihm möglich zu sehen, daß etwas aus der Rückseite des
Spiegels herausragte. Er sah es deutlich, weil das Licht durch den Zwischenraum sickerte. Was da herausragte, war wie eine Silhouette.
Gott sei Dank, dachte Winter und stand auf und ging zum Spiegel. Er faßte ihn an, drehte ihn um und betrachtete die Silhouette im richtigen Licht.
Sie war weg. Was zum. , dachte er. Er sah auf dem Boden nach. Nichts, kein Papier oder Foto. Keine Quittung. Ein Stück Gewebe hing aus der Rückseite des Spiegels. Winter sah nichts dahinter.
Er hängte den Spiegel zurück und legte sich wieder auf den Boden, suchte denselben Winkel wie vorher. Er sah wieder den Zwischenraum und die Silhouette. Es war das lose Gewebe. Ich habe mich zu stark von dem hier packen lassen, dachte er.
Er hatte die Fotografie bis zuletzt aufgehoben. Es war eine Fotocollage, die an ein kleines Pinbrett über dem Küchentisch gesteckt war. Ringmar hatte gesagt, daß Vikingsson ein eitler Kerl war. Solche Menschen hielten es nicht gut ohne Spiegel oder Fotos von sich selbst aus.
Die Collage war das einzige Persönliche in der Wohnung. Winter stand über den Tisch gebeugt davor. Sie bestand aus sieben. acht Bildern, zählte er. Das eigenartige war, daß außer Vikingsson keine andere Person auf den Fotografien war. Sie zeigten ihn in unterschiedlichen Umgebungen, die kaum zu unterscheiden waren. Winter betrachtete die Bilder eingehend, eins nach dem andern.
Sie waren in einem Kreis angeordnet. Winter betrachtete sie im Uhrzeigersinn, folgte ihnen, kehrte mit dem Blick auf zwölf Uhr zurück: Vikingsson saß an einer Theke, sie sah aus wie eine Bartheke. Er füllte fast das ganze Bild aus. Man konnte hinter seine Schultern und ein oder zwei
Meter die Theke entlang sehen. Jemand hinter der Theke hatte das Bild mit einem Weitwinkelobjektiv aufgenommen. Winter ließ den Blick darauf ruhen, sah hinter Vikingsson, folgte der Theke zur Seite hin.
Er fand sich in dem Lokal zurecht. Das Fenster hinter Viki. Winter schloß die Augen und sah im Kopf dasselbe Fenster. Er sah dieselbe Theke. Er sah sich selbst dort sitzen und etwas zu dem Mann sagen, der auf der anderen Seite stand.
Ganz ruhig, dachte er. Das ist Zufall. Die Stadt hat beliebte Lokale und solche, die nicht so beliebt sind.
41
Winter roch das Adrenalin, das durch das Sitzungszimmer strömte. Eine andere Stimmung als die, die er vor London zurückgelassen hatte. Die Fahnder machten den Eindruck, irgendwohin unterwegs zu sein. Es gab etwas, woran man sich festhalten konnte.
Winter berichtete über die Ereignisse in London. Das dauerte zehn Minuten.
»Ich will eure unmittelbaren Gedanken hören«, sagte er, »macht euch nichts draus, wenn alles durcheinandergeht. Redet drauflos. Das Band läuft. Bertil schreibt.«
Sie saßen im Halbkreis mit Winter in der Mitte. Es war wie ein halbes Uhrwerk, wie wenn sie die andere Hälfte der Zeit hinter sich gelassen hätten. Wie wenn sie damit rechneten, den Fall zu lösen, bevor der Zeiger einmal herumgegangen wäre.
»Willkommen zu Hause, Chef«, sagte Fredrik Halders.
Verdammter Speichellecker, dachte Aneta Djanali. Er versucht, es wie Ironie klingen zu lassen, aber alle wissen, daß es Kriecherei ist.
»Sara?« sagte Winter.
»Die Spuren zeigen eine große Stärke und eine große Wut«, sagte Sara Heiander.
»Wut?«
»Das glauben wir. Die Abdrücke, die Bewegungen.« »Mhm.«
»Da ist etwas Unerlöstes, das in volle Freiheit entlassen wird.«
»Der Teufel läuft Amok«, sagte Halders.
»Habt ihr Leute auf Vikingssons Umfeld angesetzt?« fragte Winter mit einem Blick zu Bertil Ringmar.
»Klar.«
»Es scheint ruhig zu beginnen, wie ein System oder ein Muster, und dann läuft es aus dem Ruder«, sagte Sara Heiander.
»Ja, das kann man sagen«, sagte Halders.
»Halt die Klappe, Fredrik«, sagte
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