Tanz mit dem Engel
Branche«, sagte Winter, »und Leute, die sich außerhalb bewegen.«
»Das gilt auch für dich.«
»Du weißt, wovon ich spreche.«
»Ja. Du brauchst einen Halbkriminellen als Helfer.«
»Laß doch, Johan.«
»Dürft ihr Leute in Anspruch nehmen, die wegen Depressionen behandelt worden sind?«
Winter antwortete nicht, sondern wartete ab. Bölger hatte sich abgewandt, kam nun aber zurück.
»Hör zu, Johan. Wir arbeiten schon von unserer Seite aus, aber ich möchte, daß du überlegst, was du über diesen Jungen hier weißt. Wen er kannte. Jemand, mit dem er besonders verkehrte. Freundinnen, oder Freunde, je nachdem.«
»Ja.«
»Denk ein bißchen nach.« »Okay.«
»Frag, wenn du willst.« »Mhm.«
»So schnell du kannst. Wir können morgen wieder reden. Ich rufe an.«
»Verdammt, das war ein Schock, das hier«, sagte Bölger.
10
Hanne Östergaard rückte nach der Abendunterweisung für die neuen Konfirmanden die Stühle wieder zurecht. Sie hatte gesehen, wie zwei oder drei Gesichter sich mit der Zeit trübten: Ich habe anderes zu tun, es reicht, langweilig, und Hanne Östergaard lächelte, löschte das Licht im Kellerraum und ging die Treppe zum Büro hinauf.
Sie hatten es selbst angesprochen: Was macht man, wenn man nicht getauft ist und trotzdem konfirmiert werden will? Mit einer vorsichtigen Handbewegung hatte sie die Bedenken weggewischt; nicht viel mehr als ein Tropfen Wasser hinter die Ohren, und Gott im Himmel nimmt das cool. Klar.
Sie warf sich den Mantel um und stieß an die Fotografie auf dem Schreibtisch. Sie hörte das Flattern über den Tisch und das Klirren, als das Glas auf den Boden fiel. Wäre ich keine Pfarrerin, hätte ich jetzt geflucht, dachte sie.
Der Rahmen war ganz, und das Glas war gesprungen, saß aber noch fest. Sie hob das Bild ihrer Tochter auf, zog vorsichtig die Glasstücke heraus und steckte den Rahmen und das Foto in die rechte Manteltasche. Sie sah auf die Uhr. Maria müßte jetzt vom Tanzen nach Hause kommen, sie würde in den Flur stürzen und die Jacke zum Kleiderhaken werfen, der sie vielleicht auffinge. Vierzehn wetterwendische und unberechenbar muntere Jahre; die Schuhe mitten im Flur, die Tasche daneben und eine Kuuurve rechts in die Küche, und wenn Hanne Glück hatte, dann hätte das Mädchen schon einen Topfkuchen im Ofen. und eine Küche, die nach Saubermachen schrie. Sie ging geschwind die halbe Treppe hinauf und hinaus in den Abend.
Die Ahornbäume um das Pfarramt erhielten einen grellen Ton von den Neonschildern auf der anderen Straßenseite. Während der klaren Winterabende waren die scharfen Farben am deutlichsten, die Bäume hatten keine Chance.
Hanne überquerte den Platz, das Licht aus dem Fenster des Wohnzimmers warf einen Kegel über die Steinplatten, und sie sah innen Schatten und zwei Gestalten, die aus der Tür kamen und sich murmelnd in die andere Richtung entfernten.
Die Suppenküche war ein Erfolg geworden, und das war sehr gut, aber gleichzeitig auch sehr erschreckend. Sie schauderte im Wind. Sie waren Pioniere gewesen. Das merkte man daran, daß die Armen aus der ganzen Stadt kamen.
Auch die Einkaufstaschen waren ein Erfolg gewesen. Sie hatten sich vorher darüber Gedanken gemacht. Die Demütigung. aber wer denkt dann an so etwas? Wer denkt dann an so etwas? Graupen, Milch, Margarine, Eier, fünf Bananen in einer Tasche, die mit >Favör< bezeichnet war. Niemand konnte sehen, daß das nicht mit eigenem Geld gekauft war.
Wir bewegen uns in Ruinen, dachte sie, oder was zu Ruinen werden wird. Es ist ein eigenartiges Gefühl. Wir haben etwas gehabt, das ganz war in diesem Land, und dann schlagen wir es kurz und klein. Jetzt kommt der Krieg. Der hat nur gewartet, bis er an der Reihe war. Gleichzeitig versuchen wir, Fürsorge zu geben. Es ist merkwürdig, wie eine böse Illusion.
Und diese Armenfürsorge, die sie hier boten, Fürsorge für neue Arme war das, dachte sie, im Schutz der Anonymität, und dann mußte sie an die Vormittagsstunden in dem Zimmer in der Skänegatan denken.
»Man weiß ja nie, was man zu sehen bekommt, wenn man die Treppen hinaufsteigt«, hatte der unwahrscheinlich junge Polizist gesagt. »Man bereitet sich auf soviel wie möglich vor, aber für so was gibt es keine Vorbereitung. Das hier war das Schlimmste - wie kann man nach so einer Sache weiterarbeiten?«
»Hast du jemanden, mit dem du zu Hause reden kannst?«
»Mein Mädchen.«
»Habt ihr darüber gesprochen?«
»Ja, zum Teu... natürlich.«
»Wenn du
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