Tanz mit dem Schafsmann
Aber einen Versuch war es wert. Ich nahm den Zettel und ging zur Tür, auf die June ihre Telefonnummer gekritzelt hatte, um die beiden Nummern zu vergleichen.
Sie stimmten überein.
Alles war miteinander verbunden. Alles. Nur, dass ich nicht begriff, was diese Verbindungen zu bedeuten hatten.
Am nächsten Morgen rief ich bei JAL an und reservierte einen Flug am Nachmittag. Ich beglich unsere Hotelrechnung und brachte Yuki nach Makaha zu ihrer Mutter. Zuvor hatte ich mit Ame telefoniert, um ihr zu sagen, dass ich dringend nach Japan zurück müsse. Sie war nicht besonders überrascht. Für Yuki sei natürlich Platz, und es sei ihr recht, wenn ich sie hinbrächte. An diesem Tag war der Himmel seit dem Morgen bewölkt, was ganz selten vorkam. Ein Unwetter schien sich zusammenzubrauen. Ich fuhr in dem gewohnten Mitsubishi Lancer mit den gewohnten 120 Stundenkilometern den gewohnten Highway an der Küste entlang, zu Radiomusik, wie gewohnt.
»Wie Pacman«, sagte Yuki.
»Wie wer, bitte?«
»Klingt, als würde Pacman in deinem Herz herumtoben. Pacman frisst sich durch dein Herz. Bib-bip-bip-bip-bip-bip-bip-bip.«
»Diese Metapher verstehe ich nicht ganz.«
»Etwas frisst dich auf.«
Ich dachte darüber nach, während ich weiterfuhr. »Manchmal spüre ich so etwas wie den Schatten des Todes«, sagte ich. »Es ist ein sehr dichter Schatten. Als wäre der Tod schon ganz nah und streckte den Arm nach mir aus, um mich am Fußgelenk zu packen. Aber ich habe keine Angst, denn es ist nie mein Tod, immer greift er nach jemand anderem. Aber jedes Mal wenn jemand stirbt, habe ich das Gefühl, meine Existenz verschiebt sich ein Stück. Wie kommt das?«
Yuki zuckte nur mit den Schultern.
»Ich weiß nicht warum, aber der Tod ist immer an meiner Seite. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, taucht er aus irgendeiner Ritze auf.«
»Vielleicht ist das der Schlüssel«, sagte Yuki. »Du bist eben über den Tod mit der Welt verbunden.«
Ich dachte über ihre Worte nach.
»Was für ein deprimierender Gedanke«, sagte ich.
Dirk North bedauerte aufrichtig, dass ich abreiste. Da uns nicht allzu viel verband, fühlten wir uns ziemlich ungezwungen in Gegenwart des anderen. Außerdem schätzte ich seine Art, die Wirklichkeit mit Poesie zu erfüllen. Zum Abschied gaben wir uns die Hand. Dabei fiel mir das einarmige Skelett wieder ein. War es tatsächlich Dick North gewesen?
»Dick, haben Sie je darüber nachgedacht, auf welche Weise Sie sterben könnten?« fragte ich ihn.
Er lächelte. »Im Krieg habe ich oft daran gedacht, denn dort war ich wirklich mit vielen Todesarten konfrontiert. Aber in letzter Zeit nicht mehr. Ich habe viel zu viel zu tun, um mir über so was den Kopf zu zerbrechen. In Zeiten des Friedens bin ich mehr beschäftigt als im Krieg«, sagte er lachend. »Aber weshalb fragen Sie mich das?«
Einfach so, sagte ich. Es sei mir gerade in den Sinn gekommen.
»Ich werde bis zu unserem nächsten Treffen darüber nachdenken«, versprach er.
Dann bat mich Ame, einen kleinen Spaziergang mit ihr zu machen. Wir schlenderten Seite an Seite den Joggingpfad entlang.
»Ich möchte Ihnen noch einmal für alles danken«, sagte Ame. »Ich stehe wirklich tief in Ihrer Schuld. Ich kann mich leider nicht so geschickt ausdrücken, aber … ich meine es so. Durch Sie hat sich vieles zum Besseren gewendet. Dank Ihrer Vermittlung läuft es zwischen Yuki und mir viel reibungsloser. Jetzt können wir miteinander reden und haben mehr Verständnis füreinander. Und nun kommt sie sogar hierher, um bei mir zu wohnen.«
»Das ist ja prima«, sagte ich. Diese Redewendung benutzte ich eigentlich nur in kritischen Situationen, wenn mir keine andere positive Bemerkung einfiel und gar nichts zu sagen unhöflich war. Aber Ame achtete ohnehin nicht darauf.
»Die Kleine ist seelisch viel ausgeglichener, seitdem sie Sie kennen gelernt hat. Sie ist längst nicht mehr so nervös und gereizt. Sie scheinen ein guter Umgang für sie zu sein. Zwischen Ihnen gibt es offensichtlich irgendeine Gemeinsamkeit. Wie erklären Sie sich das?«
Ich sagte, ich wüsste es nicht genau.
Dann fragte sie mich, was ich ihr im Hinblick auf die Schulfrage empfehlen würde.
Wenn Yuki wirklich keine Lust dazu habe, dann solle man sie auch nicht dazu zwingen, erwiderte ich. »Yuki ist ein sehr schwieriges, höchst sensibles Kind, da helfen keine gewaltsamen Methoden. Vielleicht könnte man einen Hauslehrer anstellen, der ihr wenigstens die grundlegenden Dinge beibringt. Ich
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