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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Über eine unheilvolle Geschichte ist mir nichts zu Ohren gekommen.«
    Natürlich hielt ich das alte Delfin für kein gewöhnliches Hotel, doch ich wollte in diesem Moment nicht noch mehr Verwirrung stiften.
    »Aber heute Nachmittag, als ich Sie fragte, ob das alte Delfin ein normales Hotel gewesen sei, sagten Sie doch, das sei eine längere Geschichte. Was meinten Sie damit?«
    »Das bezog sich auf eine ganz persönliche Angelegenheit«, erklärte ich ihr. »Die jetzt aufzurollen, würde zu lange dauern. Außerdem hat sie auch nichts mit dem zu tun, was Sie mir eben erzählt haben.«
    Sie wirkte enttäuscht. Leicht schmollend starrte sie auf ihre Hände.
    »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann«, sagte ich. »Zumal Sie mir das jetzt alles erzählt haben.«
    »Ach, nicht so schlimm. Sie können ja nichts dafür. Außerdem bin ich ganz froh, mit Ihnen darüber gesprochen zu haben. Ich fühle mich jetzt schon etwas erleichtert. Wenn man so etwas für sich behält, macht es einen ganz unruhig.«
    »Das finde ich auch. Wenn man mit niemandem darüber spricht und es allein mit sich herumträgt, dann bläht es sich im Kopf immer mehr auf.« Ich formte mit meinen Händen einen Riesenballon.
    Sie nickte wortlos und fummelte wieder an ihrem Ring herum, den sie abwechselnd vom Finger zog und wieder ansteckte.
    »Sagen Sie, glauben Sie mir eigentlich die Geschichte? Das mit dem sechzehnten Stock?«, flüsterte sie, ohne den Blick von den Händen zu heben.
    »Natürlich glaube ich Ihnen«, erwiderte ich.
    »Wirklich? Aber es ist doch schon eine seltsame Geschichte, oder?«
    »Mag sein, aber es passieren nun mal seltsame Dinge. Ich kann mir das gut vorstellen. Deshalb glaube ich Ihnen auch. Aus heiterem Himmel verknüpfen sich plötzlich bestimmte Elemente.«
    Sie schien einen Moment darüber nachzudenken. »Heißt das etwa, Sie haben auch so etwas erlebt?«
    »Ich denke schon.«
    »Und, war es genauso beängstigend?«, fragte sie.
    »Nein, es war nicht so wie bei Ihnen«, erwiderte ich. »Was ich sagen will, ist, dass die Dinge auf verschiedene Weise miteinander verknüpft sind. In meinem Fall …«
    Plötzlich erstarben mir die Worte in der Kehle. Als ob jemand das Telefonkabel herausgerissen hätte. Ich trank einen Schluck Whiskey und setzte neu an. »Es lässt sich schwer beschreiben. Aber ich habe so etwas tatsächlich erlebt. Auch wenn andere Leute Ihnen nicht glauben, ich tue es, denn ich weiß, wovon Sie reden. Ganz ehrlich.«
    Sie blickte auf und lächelte. Ein privates Lächeln diesmal, kein professionelles. Nachdem sie ihre Geschichte losgeworden war, schien sie etwas entspannter zu sein. »Ich weiß nicht warum, aber jetzt, wo ich mit Ihnen darüber rede, bin ich schon viel gelassener. Komisch, normalerweise bin ich eher schüchtern. Ich kann nicht so ohne weiteres mit Fremden sprechen, aber mit Ihnen geht es mir anders.«
    »Wahrscheinlich haben wir etwas gemeinsam«, sagte ich und lächelte sie an.
    Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, und sagte schließlich gar nichts, sondern stieß nur einen tiefen Seufzer aus. Nicht, weil ihr etwas unangenehm war, sondern lediglich um ihre Atmung zu regulieren. Dann fragte sie mich: »Wollen wir etwas essen? Ich habe inzwischen auch ein bisschen Hunger.«
    Ich schlug vor, das Lokal zu wechseln und irgendwo richtig zu Abend zu essen, aber sie versicherte, eine Kleinigkeit hier genüge ihr.
    Wir bestellten Pizza mit Salat und setzten das Gespräch beim Essen fort. Über ihren Dienst im Hotel, über das Leben in Sapporo. Über sie persönlich. Nach dem Abitur hatte sie eine zweijährige Ausbildung an einer Hotelfachschule absolviert und danach zwei Jahre in einem Hotel in Tokyo gearbeitet, bevor sie sich auf eine Stellenanzeige hin beim Dolphin Hotel beworben hatte. Sie war jetzt dreiundzwanzig. Der Umzug nach Sapporo erwies sich für sie als günstig, denn ihre Eltern führten ein Gasthaus in der Nähe von Asahikawa, hundertzwanzig Kilometer entfernt.
    »Es ist ein renommiertes Gasthaus. Sie betreiben es schon sehr lange«, erklärte sie.
    »Das heißt, Sie machen hier ein Praktikum, um später den Familienbetrieb zu übernehmen?« fragte ich.
    »Nicht unbedingt«, erwiderte sie und schob sich die Brille zurecht. »So weit denke ich noch gar nicht. Ich arbeite gern im Hotelgewerbe. Die Leute kommen, bleiben – gehen. Es gefällt mir, mitten in diesem Trubel zu sein. Da fühle ich mich wohl. Ich bin schließlich in solch einem Milieu aufgewachsen.

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