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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Ich zahlte. Als wir aus der Bar traten, herrschte ein leichtes Schneegestöber. Ich bot ihr an, sie mit dem Taxi nach Hause zu bringen, eine Entfernung von etwa zehn Minuten. Die Straßen waren glatt, und wir liefen untergehakt zum Taxistand. Dabei torkelte sie ein wenig. Vermutlich war sie mehr als beschwipst.
    »Wissen Sie noch, wo der Artikel über die Schmiergelder bei dem Grundstückserwerb stand?«, fiel mir plötzlich ein. »Erinnern Sie sich an den Namen des Magazins? Und wann er ungefähr erschienen ist?«
    Den Namen hatte sie sofort parat. »Ich glaube, es war im Herbst. Ich habe den Artikel allerdings nicht selbst gelesen, daher weiß ich nicht, was genau drinstand.«
    Wir standen etwa fünf Minuten in den tanzenden Schneeflocken, bis ein Taxi kam. Sie hing immer noch an meinem Arm.
    »Ich habe mich schon lange nicht mehr so entspannt gefühlt«, sagte sie. Sie fühlte sich wohl und ich ebenfalls. Ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr gehabt hatte. Vielleicht haben wir tatsächlich etwas gemeinsam, dachte ich erneut. Deshalb hatte ich auch gleich Zuneigung für sie empfunden, als ich sie das erste Mal sah.
    Im Taxi redeten wir über harmlose Dinge wie Schnee und Kälte, ihre Arbeitszeiten, das Leben in Tokyo. Ich fragte mich, was wohl als Nächstes passieren würde. Ein kleiner Vorstoß und ich könnte mit ihr im Bett landen. Die Luft knisterte. Natürlich war ich mir nicht sicher, ob sie es auch wollte. Aber ich wusste, es würde ihr nicht unangenehm sein, mit mir zu schlafen. Ihre Augen verrieten es, und die Art, wie sie atmete, redete und gestikulierte. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, mit ihr zu schlafen. Es zöge sicher keine lästigen Konsequenzen nach sich. Wir würden es einfach tun und dann wieder auseinander gehen. Auch sie würde so denken. Nur, es fehlte mir an Entschlossenheit. Irgendwie wäre es nicht fair ihr gegenüber – ein Gedanke, der mir die ganze Zeit im Hinterkopf spukte. Sie war immerhin zehn Jahre jünger als ich, irgendwie labil und so sturzbetrunken, dass sie nicht mehr geradeaus laufen konnte. Es wäre ein Trumpf mit gezinkten Karten. Jedenfalls nicht fair.
    Doch was hat Fairness in der Sexualität zu suchen? Wenn man auf diesem Gebiet fair sein will, sollte man sich besser in einen Organismus wie Moos verwandeln. Da gäbe es dann keine Komplikationen.
    Auch dieses Argument war schlagend.
    Ich schwankte zwischen beiden Überlegungen hin und her, als sie plötzlich erklärte: »Ich wohne übrigens mit meiner jüngeren Schwester zusammen.« Womit das ganze Dilemma mit einem Schlag beseitigt war. Kurz darauf hielt das Taxi vor ihrem Apartmenthaus, einem schnörkellosen Neubau.
    Ich brauchte keinen weiteren Gedanken mehr daran zu verschwenden und fühlte mich sogar ein wenig erleichtert.
    Doch als sie ausstieg, fragte sie mich, ob ich sie nicht bis zur Wohnungstür bringen könne. Manchmal lungere so ein komischer Typ nachts im Hausflur herum, entschuldigte sie sich. Ich bat den Fahrer, ein paar Minuten zu warten, und führte sie untergehakt den glatten Weg zur Haustür. Wir stiegen die Treppen in den zweiten Stock hinauf und kamen zu ihrem Apartment Nr. 306. Sie öffnete die Handtasche und kramte nach ihrem Wohnungsschlüssel. Dann lächelte sie unbeholfen und bedankte sich für den schönen Abend.
    Mir habe es auch gefallen, sagte ich.
    Sie schloss die Wohnung auf und ließ den Schlüssel zurück in die Handtasche fallen. Das Knipsgeräusch des Verschlusses hallte im Hausflur. Dann sah sie mich an. Als würde sie an die Tafel starren, wo eine ungelöste Geometrieaufgabe auf sie wartete. Es war ein unentschlossener Blick, da sie nicht wusste, wie sie mich angemessen verabschieden sollte. Ich sah es ihr an.
    Eine Hand gegen die Wand gestemmt, wartete ich auf eine Reaktion, aber es kam nichts.
    »Gute Nacht«, sagte ich. »Und schöne Grüße an die Schwester.«
    Ein paar Sekunden presste sie die Lippen zusammen. »Das mit meiner Schwester«, wisperte sie dann, »stimmt gar nicht. In Wirklichkeit lebe ich allein.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich.
    Eine leichte Röte stieg ihr langsam ins Gesicht. »Wie konnten Sie das wissen?«
    »Weiß nicht, einfach so.«
    »Sie sind gemein«, sagte sie leise.
    »So, bin ich das? Kann schon sein«, sagte ich. »Aber wie ich schon sagte, ich tue niemandem etwas zuleide. Ich nutze die Schwächen von anderen nicht aus. Deshalb hätten Sie mich gar nicht erst anschwindeln müssen.«
    Sie wirkte zunächst verlegen, lächelte dann aber

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