Tanz mit mir - Roman
Tapas-Restaurant seines Vaters in Clapham einen Besuch abstattete. Doch mit einem Mal wusste Angelica sehr genau, wie sie bekommen würde, was sie wollte: Sie stolzierte geradezu über die Tanzfläche und setzte ihren Rock wie beim Flamenco ein. Wenn sie die Figur des Chassé Capa tanzten und Tony sie wie das rote Tuch des Matadors schwenkte, streckte sie ihren langen Hals nach hinten. Wenn sie dann seinen starken Arm spürte, der sie hielt, fühlte sie sich so lebendig wie nie zuvor. Für sie war vollkommen klar, dass sie niemals wieder Standardtänze tanzen würde.
Tapas hin oder her, Tony gab jedenfalls sehr überzeugend den stolzen Matador, während sie sich als hervorragende Schülerin entpuppte. Sie beugte ihren geschmeidigen Rücken nach hinten, warf die langen, schlanken Beine in die Höhe, als sei sie nicht in Longhampton, sondern in Buenos Aires geboren. Sie tanzten geheimnisvoll und dramatisch, und wenn Tony Angelica berührte, spürte sie, wie sich jedes Haar auf ihrer Haut aufrichtete. Mal lächelte er verführerisch, mal presste er die Lippen fest aufeinander, als sei er verärgert. Kurz gesagt: Er war die Londoner Version all der spanischen Mistkerle, die Angelicas Freundinnen an der Costa del Sol reihenweise die Herzen gebrochen hatten – mit dem einzigen
Unterschied, dass Tony ein brillanter Tänzer war. Dafür war Angelica bereit, ihm alles zu verzeihen.
Ihr origineller, phantasievoller Stil führte dazu, dass sogar bei einer überfüllten Tanzfläche jeder Blick auf ihnen ruhte. Doch trotz aller Extravaganz war ihre Technik fehlerlos. Und ohne Frage konnten sie die Finger nicht voneinander lassen.
Angelica ließ sich ihre langen, schwarzen Haare zu einer schicken Kurzhaarfrisur schneiden (was ihrem Tanz und den Wangenknochen sehr zugutekam), nahm zehn Pfund ab (die Kleider ließen einen wahrhaftig paranoid werden) und entwickelte durch die vielen Hebefiguren und Positionen Beinmuskeln an Stellen, von deren Existenz sie bisher nichts gewusst hatte. Zudem änderte sie auf Tonys Drängen hin ihren Namen in Angelica; den Namen Angela Clarke legte sie für immer ab. Stolz und unabhängig, wie sie war, wählte sie Andrews als neuen Nachnamen, da sie den Verdacht hegte, dass es dauern würde, bis sie sich Angelica Canero nennen durfte.
Angelica wusste instinktiv, dass die spannendste Zeit ihres Lebens begonnen hatte. Es war ihr nicht möglich, das Tanzen und Tony getrennt voneinander zu betrachten. Sie übten bis spät in die Nacht hinein, bis sie blutige Füße bekamen und ihnen die Arme schmerzten, um dann sein möbliertes Zimmer aufzusuchen. Dort rissen sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib und liebten sich, bis sie erschöpft einschliefen. Am Wochenende reisten sie durch das ganze Land, um ihre Position im professionellen Klassement zu verbessern. Der verbeulte Mini wurde gegen einen eleganteren Rover ausgetauscht, als Geld von Tanzvorführungen und Unterrichtsstunden in ihre Kassen floss, bis Tony und Angelica schließlich sogar an ausländischen Tanzwettbewerben teilnahmen. Aus Motels wurden Hotels, die Proberäume wurden grö ßer, Streit und Versöhnungen nahmen zu, während die Kostüme immer knapper wurden. Manchmal musste Angelica
blaue Flecken mit Make-up überdecken, doch im Nachhinein konnte sie nicht mehr sagen, ob sie sich diese bei den Proben, beim Streiten oder beim Versöhnen zugezogen hatte. Es spielte aber auch keine Rolle; es war einerlei.
Die CD fiel ihr aus den Händen, und Angelica fuhr mit einem Ruck auf; fast wäre sie eingeschlafen.
Victor Silvester, dachte sie verträumt und betrachtete das Albumcover. Bernard würde ihn sicher für Chris und Lauren empfehlen. Eine Dame konnte zu Silvesters Musik mit einem ausladenden Rock tanzen und war gleichzeitig gegen bedauerliche Behinderungen durch ihren Partner gefeit.
Angelica hatte Lauren ein wenig angeschwindelt mit ihrer Aussage, sie sähe in Chris einen Tangotänzer. Sie hatte damit eigentlich nur sagen wollen, dass für einen Mann mit einem derart steifen Rücken ein Tango der wohl geeignetste Tanz sei. Lauren dagegen war wie geschaffen für den Walzer. Die meisten Mädchen liebten den Walzer abgöttisch; wenn die Musik anschwoll und zu romantischen Phantasien verleitete, konnten sie sich nur allzu gut vorstellen, sich bei einem Märchenball zu befinden. Die meisten von ihnen schienen jedoch die anstrengende Arbeit der Waden zu unterschätzen, die unter dem Deckmantel des anmutigen, schwanengleichen Auftretens
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