Tanz mit mir - Roman
der Halle stehen, schmiegte sich in ihren Mantel und betrachtete zum ersten Mal wirklich eingehend das schlichte, aber solide rote Mauerwerk. Und es war, als könne Katie mit einem Mal nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die Menschen sehen, die die Memorial Hall gebaut hatten.
Das Licht der Straßenlaterne fiel auf die Gedenktafel. Angesichts der Dinge, die sie mittlerweile darüber erfahren hatte, stellte sich Katie vor, wie Lady Mayoress in ihrem Pelzmantel und Hut mit Schleier vor einer großen Menschenmenge, in der es kaum Männer gab, das dicke Band durchschnitt. Die Menschen tauchten plötzlich vor ihrem inneren Auge auf: Ein Architekt von Dayton Graham Hollister, deren Büros sich immer noch am anderen Ende der Hauptstraße befanden, hatte die anmutigen, ausladenden Fensterbogen entworfen; ortsansässige Handwerker hatten die Fenster verglast, jede Holzdiele des Bodens verlegt und die Efeuranken gemeißelt, die sich um die Eingangstür wanden. In den Drei
ßiger-, Vierziger- und Fünfzigerjahren waren seitdem jeden Freitagabend tanzbegeisterte Menschen hergekommen, und die pulsierende, mitreißende Musik ließ sie ihren Arbeitsalltag für ein paar Stunden vergessen.
Katie spürte, wie ihr Beschützerinstinkt geweckt wurde. Bisher hatte dies noch kein Gebäude geschafft. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nicht unbedingt an der Memorial Hall selbst lag. Doch sie wollte unbedingt, dass wenigstens etwas so blieb, wie es war, und dass sie in der Lage war, etwas zu beschützen, anstatt immer nur zu zerstören.
Und ich schaffe das, dachte sie. Das ist das wenigste, was ich tun kann.
Als sie die rote Eingangstür aufstieß, wurde sie von einem Schwall warmer Luft und lauter Musik empfangen, von Gesprächsfetzen, dem Geruch erhitzter Körper und dem Duft von Kölnischwasser. Sie war jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie groß und lebendig das Gebäude an Abenden wie diesem plötzlich wirkte.
Durch die Glastür des Vorraums konnte Katie erkennen, wie elegante Abendkleider über die Tanzfläche wirbelten. Eine Sekunde lang hatte sie das Gefühl, als öffne ihr die grün gekachelte Eingangshalle einen Weg in die Vergangenheit, in der es immerzu Foxtrotts und Quickstepps gab, in der immerzu Herrenwahl herrschte und es immer Freitagabend bleiben und sich die Spiegelkugel immer um Punkt einundzwanzig Uhr dreißig in Bewegung setzen würde, ganz gleich, ob die Halle voller Tänzer war oder nicht.
Dann fiel Katies Blick auf eine sehr modisch gekleidete ältere Dame, die fröhlich und mit glänzendem Gesicht aus der Damentoilette kam. Sie wedelte sich so energisch mit ihren Händen Luft zu, dass die Hautlappen an ihren Armen in Schwingung gerieten. Der geheimnisvolle Moment war mit einem Schlag verflogen.
»Es ist so heiß, dass ich kurz dachte, ich sei wieder in den
Wechseljahren!«, japste die Dame mit einem verschwörerischen Augenzwinkern. Katie lächelte und kramte ihr Portemonnaie hervor, um die obligatorischen vier Pfund Eintritt (inklusive Saftgetränk) zu bezahlen.
Auf der Tanzfläche tummelten sich die Paare zu den letzten Takten von »In the Mood«, und die Damen hoben zu ihrer letzten Drehung an. Nachdem die Tänzer einander gedankt hatten, setzte die Band zu Glenn Millers »Pennsylvania 6-5000« an, und die Tänzer gingen wieder in Position. Fast alle Tische waren verlassen außer ein paar sehnsüchtig auf die Tanzfläche blickenden weiblichen Singles sowie ein paar Männer, die mit gelockertem Schlips über die letzten Fußballergebnisse diskutierten.
Katie bahnte sich einen Weg um die Tanzfläche herum, bis sie ein paar bekannte Gesichter erblickte: Die Mitglieder des Tanzkurses hatten zwei kleine runde Tische aneinandergeschoben, auf denen sich bereits leere Plastikbecher stapelten.
Lauren, die ein rosafarbenes Kleid trug, in dem ihre langen Arme gut zur Geltung kamen, war zwischen Trina und Chloe eingezwängt, die gerade alle Ballkleider auf einer Skala von eins bis zehn bewerteten. Trina zeigte sogar mit dem Finger auf einzelne Tänzer und redete dabei wie ein Wasserfall, was Katie nicht besonders taktvoll fand. Chloes Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihr dies einerseits ziemlich peinlich, andererseits schien sie Trinas Meinung aber insgeheim durchaus zu teilen.
Katie fiel auf, dass Chloe, die stets nach mehr Hygiene verlangte, sogar ihren eigenen Plastikbecher mitgebracht hatte.
Als Lauren Katie erblickte, stieß sie die beiden anderen an. Alle drei lächelten breit und schienen
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