Tanz mit mir - Roman
spähte Katie vorsichtig durch die Glasscheiben in den Saal und erhaschte einen Blick auf Angelicas geschmeidigen Körper, der sich wie eine schwarze Katze bog, als die Musik langsamer wurde und dann zu einem wehklagenden Crescendo anschwoll. Angelica trug ein schlichtes rotes Kleid und hatte das Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, der wie schwarzer Zuckerrübensirup in ihrem Nacken glänzte.
Katie hatte Angelicas Haar noch nie so offen gesehen. Fasziniert hielt sie inne und beobachtete, wie es von einer Seite zu anderen wippte, ohne dass sie dabei ein einziges graues Haar entdecken konnte.
Kaum zu glauben, dass sie schon fast sechzig ist, staunte Katie, als sie sah, wie Angelica den Tangorhythmus mit ihren Bewegungen mal beschleunigte, mal verlangsamte und dazu mit dem gestreckten Fuß einen weiten Bogen zog. Sie besaß ein so natürliches Rhythmusgefühl, dass sie auch noch mit achtzig die beste Tänzerin im Saal sein würde, selbst wenn sie nur noch ein Viertel der Schritte tanzen könnte. In jedem ihrer Schritte würde man diejenigen erkennen, die sie ausließ, und zwar so klar und deutlich, als hätte sie sie tatsächlich getanzt.
Katie wollte sich gerade abwenden, als ihr auffiel, dass Angelica nicht allein war. Neben ihr war ein Mann, der vollkommen in Schwarz gekleidet war. Er hatte ein wenig abseitsgestanden, als sie eine Art stampfende Flamencofigur getanzt hatte. Nun hielt er sie wieder im Arm und kehrte zu der Salida zurück, bei der sich ihre Wangen berührten. Das Tempo der Musik veränderte sich, und er umrundete sie, als sich Angelica auf ihrem Fußballen drehte. Danach kehrte sie mit perfekter Eleganz wieder in die richtige Position zurück.
Katies Herz schlug schneller, ihre Nerven begannen zu flattern. War der Mann etwa Angelicas eigener Tanzpartner oder nur irgendjemand, dem sie Privatunterricht gab? Er war ziemlich gut. Als Katie jetzt sah, wie der Tango aussah, wenn er richtig getanzt wurde, kehrte ihre alte Verzweiflung zurück, und sie fragte sich, ob sie jemals ebenso gut sein würde.
Ich möchte eigentlich mit niemand anderem als Ross tanzen, dachte sie plötzlich. Ich will beim Tanzen keine neuen Leute kennenlernen – ich möchte nur, dass er so mit mir tanzt.
Angelica hielt inne und demonstrierte dem Mann einen neuen Schritt. Dabei schnellte ihr Fuß immer wieder vor und zurück, sodass ihre roten Tanzschuhe zwischen seinen schwarzen Hosenbeinen aufleuchteten. Ihre Körper waren eng aneinandergeschmiegt, und seine weiße Hand lag tief auf ihrem roten Kleid, während im Hintergrund die sehnsuchtsvolle Tangomusik spielte.
»Jetzt haben Sie den Bogen heraus!«, rief Angelica mit einer Begeisterung, die sie im Tanzkurs nur selten zeigte. »Perfekt!«
Katie kam sich wie ein Voyeur vor. Sie sank auf die Sitzbank und zog die Tanzschuhe an. Sie hatte extra ein neues Paar Schuhe aus goldenem Leder und mit guten, schnellen Sohlen gekauft – das entsprach genau der Menge Glitter und Glamour, die sich Katie in der kurzen Mittagspause leisten konnte.
Katie musterte ihre Füße und stellte sich vor, dass sie die gleichen stolzen, erotischen Schritte tanzen würden, die Angelica eben vorgeführt hatte. Es hätte wahrscheinlich geholfen, wenn sie vorher zur Pediküre gegangen wäre; der Tango Argentino gehörte zu den Tänzen, bei denen rote Fußnägel durch eine Netzstrumpfhose hindurchleuchten mussten.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren wünschte sich Katie, Zeit für eine Pediküre zu haben, und sie erschrak über sich selbst,
als sie sich bei der Frage ertappte, ob das Nagelstudio neben dem Sainsbury’s-Supermarkt auch Termine um die Mittagszeit herum vergab. Vielleicht hatte Angelica genau dies im Sinn gehabt mit dem Hinweis, dass sie die Frau in ihrem Inneren wieder zum Vorschein bringen sollte.
»Kommt schon«, feuerte Katie ihre Füße an, als sie sich von der Bank erhob, um den Saal zu betreten. »Lasst mich nicht im Stich!«
Als sie die Saaltür aufstieß, lief zwar immer noch die Musik, doch Angelica war nun allein. Sie hielt die Arme in Tanzposition und schritt gedankenverloren vor und zurück, als sie eine neue Figur ausprobierte. Als sie Katie erblickte, flog ihr Kopf hoch und ließ den Pferdeschwanz wippen. Von Nahem betrachtet sah sie aufgrund der leichten Krähenfüße um die Augen herum nicht mehr ganz so jugendlich aus, doch die unbändige Freude in ihrem Gesicht und die geröteten Wangen verliehen ihr ein Strahlen, das sie wunderschön machte.
»Ah, hallo!«,
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