Tanz, Pueppchen, Tanz
das Wohnzimmer war nicht viel größer und bot gerade Raum für das alte Sofa mit den quietschenden Federn, das sie in einem gemeinnützigen Möbellager aufgelesen hatten. Der Mieter unter ihnen hatte dauernd mit dem Besenstiel gegen die Decke geklopft, wenn sie ihre Anlage – der einzige gemeinsame Haushaltsgegenstand, der tatsächlich etwas wert war – zu laut aufdrehten. »Erinnerst du dich noch an unsere Wohnung in der Vaughan Road?«, hört sie sich fragen.
Nach einer kurzen Pause antwortet er: »Wer könnte die vergessen?«
»Sie war ziemlich schrecklich.«
»Das war sie.«
»Aber ich mochte sie.«
»Ich auch.«
Eine weitere Pause, länger als die erste, und einen Moment lang fürchtet Amanda, die Verbindung könnte unterbrochen worden sein. »Ben?«
»Ich bin hier.«
Amanda lächelt traurig. Ich habe es gründlich vermasselt, denkt sie und will sich entschuldigen, dass sie ihn damals verlassen hat, und für all die Erschütterungen in seinem Leben und die Schmerzen, die sie ihm bereitet hat. »Und was machen wir jetzt?«, fragt sie stattdessen.
»Ich muss gleich morgen früh ins Gericht«, antwortet er, ohne die größeren Implikationen der Frage zu hören. »Aber wahrscheinlich sollten wir am Nachmittag deine Mutter besuchen, wenn es dir passt. Ich würde diese Sache mit den Medikamenten gerne klären.«
»Um wie viel Uhr?«
»Kannst du um zwei in meiner Kanzlei sein?«
»Klar.«
»Gut. Bis morgen dann.«
»Bis morgen dann«, wiederholt Amanda und will nicht, dass die Unterhaltung endet.
»Schlaf gut, Amanda.«
»Du auch.«
Und dann folgt die schreckliche Stille, wenn der andere die Verbindung beendet hat. Amanda lauscht dem unerwünschten Geräusch eine Weile und strengt sich an, am anderen Ende der Leitung Bens Atem zu hören, bevor sie seine Abwesenheit widerwillig hinnimmt, ihr Telefon zuklappt und wieder in ihre Handtasche stopft.
Sie lässt sich auf das schmale Bett sinken und starrt den Renoir-Druck an der gegenüberliegenden Wand an. Wie viele Abende hat sie in diesem Bett gelegen und dieses Gemälde angestarrt, die fröhliche Darstellung einer sorglosen jungen Frau, die in einem weißen Rüschenkleid in einem bevölkerten Park auf einer Schaukel balanciert, den Körper in die Sonne geneigt, das runde Gesicht vor Gelassenheit rosig glänzend, vollkommen eins mit sich und ihrer privilegierten Existenz, als ob ihr solches Glück zustände. Wie hatte sie dieses Mädchen beneidet, das ihr Anrecht so stolz trug wie die blauen Schleifen an ihrem Kleid, und so selbstbewusst war, auf einer Schaukel zu stehen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, die Plätze zu tauschen und das Mädchen in der Sonne sein zu dürfen, umringt von Bewunderern und nicht allein und zitternd unter ihrer Bettdecke?
Als sie klein war, hatte sie sich vorgestellt, dass sie, wenn sie nur nahe genug heranging, vielleicht in das Bild hineingezogen würde, weshalb sie eines Abends auf den Schreibtisch geklettert war, vor dem Bild gekniet und ihre Nase drangedrückt hatte, bis sie wehtat und der Rahmen von ihrem Atem beschlagen war. Aber das Mädchen auf der Schaukel lebte in glücklicher Ahnungslosigkeit von ihrer Existenz weiter, bis Amanda sie still für ihre Selbstsüchtigkeit verfluchte. »Ich hoffe du fällst runter und brichst dir den Hals«, hatte sie die Wand angezischt, bevor sie sich in den Schlaf geweint hatte. Doch am nächsten Morgen stand das Mädchen zufrieden und friedlich wie eh und je auf seiner Schaukel. Amandas zerstörerische Kräfte reichten offensichtlich nicht an die ihrer Mutter heran.
»Wollen wir wetten?«, fragt Amanda jetzt, stößt die junge Frau von ihrer bequemen Schaukel und sieht zu, wie sie im Dreck landet, ihr Rüschenkleid beschmutzt. Eine klaffende Wunde auf ihrer Stirn taucht die Palette der sanften impressionistischen Farben in ein knalliges Rot. Amanda legt sich aufs Bett und schließt befriedigt die Augen. Man konnte ja Ben fragen, wessen Macht größer war. Oder Sean. Oder ihren Vater.
Amanda stöhnt vernehmlich und dreht sich auf den Bauch, um eine bequemere Lage zu finden. Aber die Schuldgefühle bedrängen sie wie ein Liebhaber, der mehr als seine Hälfte des Betts beansprucht, und nachdem sie sich in vergeblichen Ausweichmanövern zehn Minuten lang von einer Seite auf die andere gewälzt hat, gibt sie die Idee einzuschlafen ganz auf. Vielleicht sollte sie ein wenig Fernsehen gucken. Irgendwo läuft doch bestimmt ein Eishockey-Spiel, denkt sie, klettert aus dem Bett und geht
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