Tanz, Pueppchen, Tanz
zurück in den Flur.
Sie hat keineswegs die Absicht, das dritte Schlafzimmer zu betreten, weshalb sie selbst überrascht ist, als sie sich auf dessen Schwelle wiederfindet. Sie hat auch nicht die Absicht, zum Kleiderschrank zu gehen, steht jedoch kurz darauf unvermittelt davor, die Hand auf dem Türknauf. Und sie hat ganz bestimmt nicht die Absicht, die Puppenbühne herauszuholen und in die Mitte des Zimmers zu tragen, sodass sie selbst am meisten erstaunt ist, sich auf dem Boden sitzen zu sehen, wo sie die Fäden der Puppen sorgfältig entwirrt und sie über die hohe hölzerne Rückwand der Bühne hängt. »Hi, Leute«, sagt sie und beobachtet, wie die Puppen sich artig verbeugen und einen Knicks machen.
Selber hi, Süße, sagt die Jungenpuppe, den hölzernen Kopf leicht geneigt.
Wo bist du gewesen, fragt die Mädchenpuppe höflich.
Amanda zuckt mit den Schultern und lässt die Puppen über die Bühne wirbeln.
Leichtfüßig bewegen sie sich gemeinsam, schweben anmutig durch die Luft, der Kopf des Mädchens an die Schulter des Jungen gelegt, sein Arm schützend um ihre Schulter geschlungen, bis ihre Gliedmaßen sich kreuzen, die Schnüre sich verheddern und umeinander wickeln wie Reben um einen Baumstamm und beide Puppen eins werden, sodass sie ohne irreparablen Schaden nicht mehr voneinander zu trennen sind. Wahre Liebe, denkt Amanda wehmütig, träumt sich in Bens Arme, spürte seine Wange an ihrer, während sein Arm sich in ihren Rücken drückt.
Niemand vorher oder nachher hatte ihr so wie Ben das Gefühl gegeben, durch ihre Haut auch ihre Seele zu berühren.
Nur, dass sie nicht will, dass jemand so weit zu ihr vordringt. Denn wenn er das tut, wird er herausfinden, dass dort nichts ist. Kein Mensch jedenfalls, den zu kennen sich lohnt. Ganz bestimmt niemand, den zu lieben sich lohnt. Denn wenn die eigene Mutter einen nicht liebt …
»Was mache ich hier?«, fragt Amanda sich, als wäre sie aus einer längeren Trance erwacht. »Was zum Teufel mache ich hier?« Sie reißt die Fäden von ihren Fingern, und die Puppen lösen sich ruckartig aus ihrer Umarmung. Angewidert schleudert sie die Marionetten durch das Zimmer und sieht zu, wie sie an die Wand prallen und auf dem Bett übereinander fallen, als wären sie entschlossen zu vollenden, was Amanda begonnen hat. Sie dreht sich hilflos im Kreis und wird mit jeder Drehung wütender. »Verdammt, was ist los mit dir?« Sie bückt sich, hebt die Holzbühne auf und schleudert sie mit einer letzten Drehung in Richtung Fenster wie ein Kugelstoßer. Die Bühne verfehlt das Fenster nur um Zentimeter und kracht stattdessen gegen die Wand, wo ein Stück Putz aus dem rosafarbenen Anstrich schlägt, bevor sie auf dem Boden zerschellt. Holzteile segeln durch die Luft wie Schutt nach einer Explosion.
Amanda starrt die Verwüstung an. Kleine Holzleisten liegen auf dem Schreibtisch verteilt wie die Eisstiele, die sie als Kind gesammelt hat. Der Boden der Bühne hat sich von den Seitenwänden gelöst und schwebt in der Erwartung des nahenden Absturzes über der Tischkante. Überall sind Holzsplitter verteilt. »Na toll«, murmelt Amanda. »Ein weiteres Chaos, das auf meine Kappe geht.« Sie macht sich auf in die Küche, um einen Staubsauger zu holen. Erst die Pflanzen und jetzt das. »Ich bin einfach eine wandelnde Katastrophe.«
Vielleicht hatte ihre Mutter zu Recht Abstand gehalten.
Als sie mit dem Staubsauger und einer grünen Mülltüte in das Zimmer zurückkehrt, ist der Boden der Bühne endgültig vom Tisch gefallen und liegt jetzt zerbrochen auf dem grauen Teppich, während Staub aus seinem ramponierten Gehäuse rieselt wie Blut. »Tut mir Leid.«, entschuldigt Amanda sich und will das große Holzteil gerade in die Mülltüte werfen, als ihr in einer Ecke ein Stück Pappe auffällt, das aus einem großen Riss in dem Holz ragt und aussieht wie eine Visitenkarte. »Was ist das?« Langsam und behutsam zieht sie die Karte heraus.
AAA Wasserreinigungssysteme, verkündet die Karte in fetten Lettern. Walter Turofsky, Verkaufsleiter.
»Was zum Teufel ist das?« Amanda schüttelt das Holzteil und sieht zu, wie weitere Visitenkarten auf den Fußboden rieseln. Sie sinkt auf die Knie und betrachtet die Karten nacheinander.
AAA Grundstücksverwaltung Inc. George Turgov, Präsident.
AAA Bodenbeläge. Milton Turlington, Handelsvertreter.
AAA Imprägnierungen Inc. Rodney Turek,
Vizepräsident.
»Was ist hier los?« Amandas Blick zuckt von einer Visitenkarte zur anderen. Was sind
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