Tanz, Pueppchen, Tanz
Vorwahl wählen –, und lauscht einer ärgerlichen Bandaufnahme, die sie auffordert, es später wieder zu versuchen. »Ich will es aber nicht noch mal versuchen.« Amanda steckt das Handy wieder vorsichtig in ihre Handtasche, um das Foto und die Visitenkarten nicht zu verknicken, die sie in einen rosafarben Briefumschlag mit Blumenrand gesteckt
hat – der zusammen mit dem entsprechenden Briefpapier praktischerweise in der untersten Schublade ihrer alten Kommode bereitlag. Sie schlüpft mit nackten Füßen in ihre Stiefel, deren Futter sich weich und warm um ihre Zehen schmiegt, holt ihren Parka aus dem Garderobenschrank, wirft ihn über, öffnet die Haustür und schlüpft in die Ärmel, während ein böiger Wind ihr Schneeflocken in die Augen weht. »Könnten wir bitte was wegen des Wetters unternehmen?«, schreit sie den schwarzen Himmel an, bevor sie die Stufen und den Weg hinunterhastet, den sie am Nachmittag freigeschippt hat. Auf der Bloor Street müsste es jede Menge Taxis geben, denkt sie und beschließt, Ben nicht noch mal anzurufen. Es ist bestimmt besser, einfach vor seiner Tür aufzukreuzen und ihn persönlich mit den Fakten zu konfrontieren. Und wenn Jennifer bei ihm ist, na und? Welchen Unterschied macht das? Am Freitag ist der ganze Schlamassel so oder so vorbei, und sie sitzt in dem nächsten Flugzeug zurück nach Florida. Und dann wird sie Ben nie wieder sehen, egal wie viele Fremde ihre Mutter noch niederschießt.
Eigentlich wäre es sogar ganz gut, wenn Jennifer bei ihm ist, entscheidet Amanda, als sie die Ecke Palmerston Boulevard und Bloor Street erreicht und in beiden Richtungen vergeblich nach einem Taxi Ausschau hält. Es würde diesen romantischen Flausen ein für alle Mal ein Ende machen. Mit Romantik hatte sie ohnehin nie viel im Sinn.
Amanda sieht hinter einem heranrollenden Wagen ein Taxischild leuchten und schwenkt die Arme über dem Kopf, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu erregen, aber entweder sieht er sie nicht, oder er ignoriert sie mit Absicht. Jedenfalls hält er nicht an. Genauso wenig wie der nächste Taxifahrer, der, wie sie erst zu spät bemerkt, bereits einen Fahrgast auf der Rückbank hat. »Verdammt«, murmelt sie und schlägt die Spitzen ihrer Stiefel gegeneinander, weil ihre nackten Füße trotz des Futters zu frieren beginnen. Ich hätte mir doch Socken anziehen sollen, denkt sie und läuft in östlicher Richtung die Bloor Street hinunter. »Komm schon«, jammert sie, als eine Reihe von Autos vorbeisausen.
»Wo sind denn die ganzen Scheißtaxis?«
Schließlich entdeckt sie eines, das auf der Gegenfahrbahn Richtung Norden unterwegs ist. »Nein«, ruft sie, rennt über die Straße und winkt hektisch mit den Armen. »Nicht da lang. Hier rüber. Hier rüber.« Das Taxi hält, und sie schlittert über gefrorenen Schneematsch auf den Wagen zu.
»Danke«, flüstert sie leise, als sie einsteigt und automatisch den auf dem Ausweis angegebenen Namen des Fahrers registriert. Wäre es nicht komisch, falls er sich als Walter Turofsky, George Turgov, Milton Turlington oder Rodney Turek herausstellen würde, denkt sie und muss beinahe laut lachen, als sie liest, dass er Igor Lavinsky heißt.
»Wohin?«, fragt der Mann über die Schulter. Er hat teigige Haut und tiefe Falten. Dunkelbraunes Haar fällt über seine Stirn in seine übernatürlich dunklen Augen. In seinem Mundwinkel hängt eine halb gerauchte Zigarette, obwohl ein deutlich sichtbares Schild am Armaturenbrett die Fahrgäste auffordert, nicht zu rauchen.
»Harborside«, sagt Amanda und wackelt mit den Zehen in ihren Stiefeln, um sie zu wärmen. Sie lehnt sich zurück, atmet tief aus und sieht, wie ihr Atem in der kalten Luft beschlägt und Gestalt annimmt wie ein aus einer Flasche befreiter Geist.
»Alles okay?«, fragt der Fahrer und kneift im Rückspiegel die Augen zusammen. »Sie nicht übergeben in meinem Taxi, ich hoffe.«
»Nein. Oh nein. Mir ist nicht schlecht, mir ist nur kalt.«
»Kalt. Ja, ist sehr kalt. Aber Mantel sieht aus warm.«
»Ja«, stimmt Amanda ihm zu und imitiert unbewusst den starken russischen Akzent des Mannes, während sie den Mantelkragen fest an ihren Hals drückt. »Mantel ist sehr warm.«
»Schöner Mantel«, stellt der Mann noch fest, bevor er das Ende der Unterhaltung signalisiert, indem er das Radio einschaltet, wo ein wehmütiges Saxofon klagt.
Fünf Minuten später steigt Amanda aus dem Taxi und hastet zu der großen Glastür am Eingang von Bens Apartmentgebäude. Der vom
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