Tanz, Pueppchen, Tanz
dass es ihr schwer fällt, sich an den Grund ihres Anrufs zu erinnern.
»Hallo? Sind Sie noch da?«
»Gibt es eine Art Sterberegister?« Die Frage schießt aus Amandas Mund wie eine Kugel aus einem Revolver.
»Nein, ich fürchte, so etwas haben wir nicht«, antwortet Davia, als ob man ihr diese Frage täglich stellt.
»Und wie könnte ich herausfinden, ob jemand im vergangenen Monat in der Stadt gestorben ist?«
»Da schauen Sie am besten die Todesanzeigen der Zeitungen durch«, sagt Davia, wie Amanda bereits befürchtet hat.
»Die Stadtbibliothek hat ein wunderbares Zeitungsarchiv.«
Wunderbar, denkt Amanda und muss beinahe lachen.
»Und wenn niemand eine Anzeige aufgegeben hat?«
»Nun, in diesem Fall könnten Sie vermutlich eine Anfrage an die Provinzverwaltung richten, aber dafür muss die betreffende Person seit mindestens siebzig Jahren tot sein.«
»Siebzig Jahre? Nein, die betreffende Person ist erst kürzlich gestorben. Hören Sie, ich verstehe nicht, warum das so schwierig sein soll. Gibt es überhaupt keine öffentlich zugänglichen Unterlagen über Todesfälle?«
»Nein, gibt es nicht.«
»Sind sie geheim?«
»Nein, das auch nicht. Nur nicht öffentlich.«
»Oh.«
»Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.«
»Danke«, sagt Amanda, statt sich zu verabschieden.
»Stadtbibliothek, ich komme.« Als sie ihre Stiefel anzieht, überlegt sie, Ben anzurufen, aber er ist bei Gericht, und was hat sie ihm im Grunde zu sagen? Idiot – du hast deine Chance verpasst? »Ich glaube nicht«, sagt sie bereits zitternd, bevor sie die Haustür aufgemacht hat, und schützt ihr Gesicht von dem beißenden Wind.
Aber der Wind ist gar nicht beißend. Es weht eigentlich gar kein Wind. Und auch wenn es keineswegs mild ist, ist die Temperatur doch spürbar wärmer als gestern. Ein gutes Omen, hofft sie und will gerade in die Bloor Street einbiegen, als sie die alte Mrs. MacGiver sieht, die ihr aus dem Wohnzimmerfenster hinterherstarrt. »Beachte sie gar nicht«, flüstert sie in ihren hochgeschlagenen Mantelkragen. »Geh einfach weiter.«
Doch ungeachtet ihrer Ermahnungen findet Amanda sich wenig später vor Mrs. MacGivers Haustür wieder, wo sie auf die Klingel drückt. Was zum Teufel mache ich hier, fragt sie sich und späht, als keiner an die Tür kommt, zum Wohnzimmerfenster, wo sie allerdings auch niemanden sieht. Vielleicht habe ich ihr Angst gemacht, denkt Amanda. Vielleicht hat die alte Frau mich herüberkommen sehen und ist vor Schreck gestorben. Und was dann? Würde ihre Familie, die ohnehin denkt, dass sie schon zu lange lebt, sich die Mühe machen, eine Todesanzeige in die Zeitung zu setzen?
Doch dann hört sie das Klappern einer Kette, und die Tür wird einen Spalt breit geöffnet. Ein uraltes Gesicht blickt ihr entgegen, gekrönt von einem dünnen Heiligenschein aus weißen Haaren, die wie Unkraut aus der trockenen roten Kopfhaut sprießen.
»Ich bin’s, Amanda. Gwen Price’ Tochter«, erklärt Amanda der Frau. »Ich bin für ein paar Stunden unterwegs und habe mich gefragt, ob ich Ihnen irgendwas mitbringen soll.«
»Ich brauche ein Paar rote Schuhe«, antwortet die Frau.
»Was?«
»Dieses Wochenende ist im Royal York ein Ball«, erklärt Mrs. MacGiver, und ihre Miene wird regelrecht lebhaft, während sie die Tür ganz öffnet. Sie trägt einen alten, mit Kaffeeflecken übersäten, gelben Kittel und dicke grau-weiße Sportsocken. »Es ist der Abschlussball unserer Schule, dieses Jahr findet er im Royal York statt. Ich habe mich so darauf gefreut.«
»Mrs. MacGiver …«
»Mein Vater wollte mich erst nicht hingehen lassen. Er ist sehr streng. Sehr streng«, wiederholt sie kopfschüttelnd, scheinbar ohne die Kälte zu spüren. »Er mag Marshall MacGiver nicht. Aber meine Mutter findet, dass er ein sehr netter junger Mann ist, und hat meinen Vater überredet, mich doch gehen zu lassen. Sie hat mir sogar ein neues Kleid gekauft.« Sie betrachtet ihre Füße. »Aber wie kann ich ohne passende Schuhe auf den Abschlussball gehen?«
»Ich fürchte, ich kann heute nicht in ein Schuhgeschäft gehen. Mrs. MacGiver. Vielleicht morgen«, schlägt Amanda vor und weicht vorsichtig zurück.
»Wohin gehst du denn dann?« Mrs. MacGivers Stimme klingt grob, beinahe anklagend.
»In die Bibliothek.«
»Ich brauche keine Bücher.«
»Ja, das weiß ich. Ich dachte bloß, dass Sie vielleicht Orangensaft oder Milch oder Tee brauchen.«
Die Frau lächelt und entblößt eine lückenhafte
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