Tanz, Pueppchen, Tanz
ab, streift ihn über den Kopf, während er auf die Taste der Gegensprechanlage drückt.
»Jennifer?«, hört Amanda ihn sagen und vergräbt ihren Kopf in der dicken Mohair-Wolle wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer. Die weichen Härchen kitzeln in ihrer Nase.
Jennifers Stimme erfüllt den Flur. »Da bist du ja. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
»Tut mir Leid. Ich war im Bad. Komm hoch. Apartment 1012.«
»Schon unterwegs.«
»Sie ist schon unterwegs«, äfft Amanda sie nach, als sie mit dem Kopf wieder aus ihrem Pullover auftaucht und feine Härchen ausspuckt. Sie fischt den Stiefel vom Boden, ihren Mantel von der Garderobe, öffnet die Wohnungstür und tritt in den Flur. »Keine Sorge. Ich pass auf, dass sie mich nicht sieht.«
»Wohin gehst du jetzt?«
»Oh, ich bin sicher, ich finde jemanden, der mit mir schlafen will.«
»Amanda …«
»Mir geht es gut, Ben. Es war die Laune eines Augenblicks. Es hat nicht sollen sein. Kein Weltuntergang. Ehrlich.«
Er nickt einsichtig. »Bis morgen dann?«
»Punkt zwei.« Amanda geht, ohne sich zu verabschieden. In dem Flur auf der anderen Seite des Aufzugs bleibt sie stehen, bis sie hört, dass der Fahrstuhl hält und die Tür aufgeht. Leise Schritte entfernen sich rasch über den Teppich, und am Ende des Flures geht eine Tür auf.
»Hey, du«, sagt eine Frauenstimme liebevoll.
»Hey, du«, ertönt Bens Stimme wie ein Echo.
Die Stimmen verschwinden in seiner Wohnung, und Amanda drückt auf den Fahrstuhlknopf. Die Kabinentür öffnet sich unverzüglich, und Amanda tritt in den frischen Limonenduft.
25
Am nächsten Morgen um halb zehn schreckt Amanda aus dem Schlaf und fragt sich, (a) welcher Tag es ist, (b) wo sie ist und (c) wer sie ist. Die ersten beiden Fragen lassen sich sehr viel leichter beantworten als die dritte. Es ist Mittwoch, und sie ist im Wohnzimmer ihrer Mutter, wo sie seit Mitternacht auf einem unbequemen Sofa gelegen, die Plastikpflanze auf dem Kaminsims angestarrt und an das gestrige Fiasko mit Ben gedacht hat. »Ich war definitiv nicht ich selbst gestern Abend«, erklärt sie mit Nachdruck, steht auf, stolpert zum Fenster, zieht die staubigen weißen Stores auf und schirmt die Augen gegen die überraschend helle Sonne ab.
Was sie sieht: eine verlassene Straße, die in der Zeit erstarrt scheint wie das Bild auf einer Weihnachtskarte. Der weiße Schnee, der die Vorgärten der Häuser zu beiden Seiten der Straße bedeckt, glitzert wie hartes Metall. Riesige Klumpen gefrorenen Matsches sind wahllos von der Mitte der Straße an den Bordstein geschaufelt worden, wo sie in unregelmäßigen Abständen leicht vorgebeugt stehen wie betrunkene Wachposten und das Parken unmöglich machen. Mehrere Wagen sind halb auf der Straße stehen gelassen worden, und ihr Heck ragt gefährlich auf die Fahrbahn. »Sieht kalt aus«, murmelt Amanda, schlingt die Arme um ihren Körper und spürt das weiche Kitzeln der Mohairwolle auf ihren Handflächen, während sie versucht, Bens Hände zu vergessen, die durch die feine Wolle nach ihrer Haut tasten.
Was hatte sie bloß geritten?
»Ich muss duschen«, verkündet Amanda dem leeren Haus.
Und geht zu der Treppe, die hinaufzusteigen sie gestern Nacht zu müde und zu ängstlich gewesen ist, obwohl es ihr heute Morgen ein Rätsel ist, wovor genau sie sich gefürchtet hat. Hat sie geglaubt, die Puppen könnten sie aus Rache dafür, dass sie ihren Ruheplatz so achtlos zerstört hatte, in ihrem Bett angreifen? Oder hatte sie Angst, an irgendeinem unmöglichen Ort auf weitere versteckte Geheimnisse zu stoßen? »Mein Herz zum Beispiel?«, höhnt sie, als sie ohne einen Seitenblick zu den Schlafzimmern direkt das Bad ansteuert. »Verdammt unwahrscheinlich.« Sie dreht die Dusche an und hält die Hand unter den altmodischen Duschkopf. Bei dieser Dusche hat es immer ewig gedauert, bis das Wasser heiß wird, erinnert sie sich und muss lächeln, als ein Sturzbach kalten Wassers auf ihre ausgestreckte Hand niedergeht, seltsam getröstet von der Gewissheit, dass sich zumindest ein paar Dinge nicht verändert haben. Sie schneidet eine Grimasse, als sie über dem Waschbecken ihr Spiegelbild sieht und feststellt, dass der lila Pullover die Ringe unter ihren Augen betont. Sie zieht den Pullover über den Kopf und wirft ihn in Richtung Flur. Wie gestern Nacht, denkt sie.
»Oh Gott«, stöhnt sie, wendet den Blick zur Decke und spürt Bens Lippen auf ihren, seine Hände auf ihren Brüsten und ihrem Hintern, seine Finger, die an dem
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