Tanz, Pueppchen, Tanz
sollten damit warten, bis wir im Auto sind.« Ben weist mit dem Kopf auf den Wärter, der in der Nähe des Eingangs hinter einer Trennwand aus Glas sitzt und sie beobachtet.
»Sie hat dem Mann hunderttausend Dollar gestohlen!«
»Ich denke wirklich, dass wir warten sollten, bis wir …«
»Sie war tablettenabhängig, verdammt noch mal!«
»Amanda …«
»Erst haben wir kein Motiv für die Schüsse. Und nun haben wir nur nochMotive.«
»Gibt es irgendein Problem?« Angezogen von dem Aufruhr tritt wie durch Zauberhand ein Wärter aus einer Wand am anderen Ende des Flurs und kommt, eine Hand auf dem Pistolenhalfter, auf sie zu.
»Nein, Officer.« Bens Finger graben sich durch den dicken Parka in Amandas Arm, als er sie Richtung Eingang bugsiert.
»Sie hat mich Schätzchen genannt!« Amanda stößt die Tür zum Parkplatz auf und stapft hinaus, bevor sie unvermittelt stehen bleibt, herumfährt und in einen Strom wütender Tränen ausbricht. »Wer zum Teufel ist diese Frau?«
Ben nickt verständnisvoll, dabei sind seine Augen wie ein Spiegel ihrer Verwirrung.
Ich könnte deine starken Arme jetzt wirklich dringend brauchen, denkt Amanda und schwankt in seine Richtung.
Er streckt die rechte Hand aus, doch anstatt sie tröstend in den Arm zu nehmen, fasst er nur ihren Ellenbogen und lotst sie über den tiefen Schneematsch auf dem Parkplatz, als wateten sie durch womöglich tückische Ozeanwellen, den Autoschlüssel schon in der Hand. »Alles in Ordnung?«, fragt er, als sie im Wagen sitzen und der Motor der alten Karosse giftig aussehende Dämpfe in den ohnehin grauen Himmel pustet.
»Glaub schon.«
»Was hältst du von ihrer Geschichte?«
»Ich denke, dass sie für eine Psychopathin eine erstaunlich schlechte Lügnerin ist.«
»Glaubst du, dass alles, was sie erzählt hat, gelogen war?«
Amanda schüttelt den Kopf. »Ich glaube, dass sie mit Rodney Turek verheiratet war. Ich glaube, dass er ein Gauner war, der sie betrogen und ihren Vater bestohlen hat. Ich halte es sogar für möglich, dass sie das Geld zurückgestohlen hat. Aber danach wird es irgendwie trübe.«
»Jedenfalls hat sie uns einiges verschwiegen.«
»Und wie finden wir heraus, was?«
Ben überlegt einen Moment. Amanda beobachtet, wie sein Blick über die Windschutzscheibe huscht, als würde er eine unsichtbare Liste möglicher Alternativen studieren.
»Wir machen genau das, was du deiner Mutter gegenüber für den Fall angekündigt hast, dass sie nicht ganz ehrlich zu uns ist.« Er wartet, bis sie begreift.
»Wir statten Hayley Mallins einen Besuch ab«, sagt Amanda leise, schnallt sich an und macht es sich für die Fahrt bequem.
Auf dem Gardiner Expressway hat es einen Unfall gegeben – ein Sattelschlepper hat sich quer gestellt und blockiert sämtliche Spuren in östlicher Fahrtrichtung –, sodass Ben und Amanda fast zwei Stunden bis in die Innenstadt brauchen. Das ist noch schlimmer als die Interstate 95, denkt Amanda, sagt es jedoch nicht laut, weil in Wahrheit nichts schlimmer sein kann als die
I-95. Außerdem wäre es ohnehin schwer, irgendetwas zu sagen, so laut wie Ben das Autoradio aufgedreht hat, ein vertrautes Zeichen, das sie mit einem Kopfnicken registriert. Er möchte nicht reden. Er möchte mit seinen Gedanken alleine sein oder vielleicht auch gar nichts denken. Amanda erinnert sich aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Ben daran und wünscht sich lächelnd, dass es ihr auch so leicht fallen würde, einfach alles auszublenden. Eine Zeit lang versucht sie es mit der stummen Wiederholung eines Mantras, das sie von ihrer Freundin Ellie gelernt hat, die einmal an einem viertägigen Kurs in transzendentaler Meditation teilgenommen hat, der mehr als tausend Dollar gekostet hat. Kirrell, kir-rell. Aber sei es, weil es Ellies Mantra und nicht ihr eigenes ist oder weil Ellie durch seine Enthüllung irgendeinen heiligen Eid gebrochen hat, das Mantra funktioniert nicht. Kir-rell, kir-rell. Nach weniger als einer halben Minute ist Amanda in Gedanken wieder in dem schrecklichen, stickigen, kleinen Raum mit ihrer Mutter, die ihr erzählt, dass sie mehr als ein Jahrzehnt lang mit Rodney Turek alias John Mallins verheiratet war – kir-rell, kir-rell –, dass er ihren Vater um seine gesamten Ersparnisse betrogen hat – kir-rell, kirrell –, dass sie sie zurückgestohlen hat – kir-rell, kir-rell –, dass er sie bedroht hat – kir-rell, kir-rell! –, und dass ihre nachfolgende Depression sie in die alptraumhafte Welt einer
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