Tanz, Pueppchen, Tanz
Tablettenabhängigkeit gestoßen hatte. Kir-rell, kir-rell!!!
Die reinste Hölle kommt der Sache schon näher.
Amanda gibt das Mantra auf, das wie ein Seufzer auf ihrem Atem schwebt und die Windschutzscheibe mit einer kleinen Wolke beschlägt. Irgendwo unterwegs fängt die Geschichte ihrer Mutter an, unglaubwürdig zu klingen.
Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, denkt Amanda müde. »Alles, nur nicht die Wahrheit«, sagt sie und sieht Ben an, als ihr bewusst wird, dass sie laut gesprochen hat. Aber er hat sie entweder nicht gehört oder tut so, nachdem er ihrem frustrierten Gebrabbel auf der Fahrt zurück in die Stadt schon eine Stunde lang zuhören musste. Jetzt blickt er stur geradeaus, fährt ruhig ein paar Meter weiter, sobald sich eine Lücke auftut, und tippt mit den Fingern grimmig im Takt zu der Rock-Musik im Radio. Coldplay, denkt sie, ist sich aber nicht sicher. Denn in Wahrheit hat sie den Kontakt zu der Musik ihrer Generation längst verloren.
Erzähl mir nicht, dass du dieses Zeug wirklich magst, hatte Sean sie einmal gefragt, bevor er das Autoradio, ohne zu fragen, von einem Rocksender auf einen Klassiksender umgestellt hatte. Das war zumindest besser als die grauenhafte Country-Musik, die er sonst gern hörte. Dies ist Amerika, hatte er mal auf ihren lautstarken Protest erwidert und fröhlich den Refrain mitgesungen, der unweigerlich von treulosen Frauen und Pick-up-Trucks handelte. So schlägt das Herz des Landes.
So scheppert ein Haufen Mist, hatte sie gedacht. Aber nach vier Jahren Ehe sang sie den Refrain mit. »Es besteht doch noch Hoffnung für dich«, scherzte Sean. Vielleicht hatte sie deswegen einen solchen Drang verspürt wegzugehen. Country-Musik hat meine zweite Ehe zerstört, denkt sie schmunzelnd. Darüber sollte mal jemand einen Country-Song schreiben.
Aber letztendlich war das natürlich auch nicht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ihre Ehe war nicht an ihrem unterschiedlichen Geschmack in punkto Musik und Film oder an ihrem Altersunterschied gescheitert, nicht einmal an ihren gegensätzlichen Vorstellungen, was die Gründung einer Familie betraf. Nein, ihre Ehe war schon von dem Moment an zum Scheitern verurteilt, als sie Ja, ich will gesagt hatte. Denn die einfache Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit war, dass sie nicht gewollt hatte.
Amanda schließt die Augen und sieht das Gesicht ihrer Mutter. Ich war schließlich mehr als zehn Jahre mit diesem Mann verheiratet. Mehrfach-Ehen liegen offenbar in der Familie, denkt sie und lacht laut.
»Was ist so komisch?«, fragt Ben und dreht das Radio leiser.
»Eigentlich gar nichts.«
Er nickt, als wäre das vollkommen logisch.
Als sie beim Four Seasons Hotel ankommen, liegt die Abenddämmerung schon wie eine Drohung über dem nachmittäglichen Himmel. »Meinst du wirklich, das ist eine gute Idee?«, fragt Amanda, die einer Konfrontation mit Hayley Mallins mit einem Mal seltsam zögerlich, ja beinahe ängstlich entgegensieht.
Ben gibt dem Portier am Eingang des Hotels seinen Autoschlüssel. »Hast du eine bessere?«
Amanda blickt zu der bevölkerten Bar auf der linken Seite der Lobby. »Ich könnte einen Drink gebrauchen.«
»Definitiv eine bessere Idee.« Sie gehen vorbei an der gemütlichen Sitzecke, in der ihre Mutter darauf gewartet hatte, ihren Ex-Mann niederzuschießen, steigen ein paar Stufen zu der eigentlichen Bar hinauf, wo sie sich an einen kleinen Tisch am Fenster setzen. »Was darf’s denn sein?«, fragt Ben.
»Einen Pfirsich-Himbeer-Tee, bitte«, sagt Amanda, als ein Kellner naht.
Ben lacht. »Einen Pfirsich-Himbeer-Tee und ein Glas sehr trockenen Rotwein«, erklärt er dem jungen Mann, bevor er sich wieder Amanda zuwendet. »Du erstaunst mich immer wieder.«
»Ist das gut?«
Er tut die Frage mit einem Achselzucken ab. »Und du willst ganz bestimmt nichts Stärkeres?«
»Ich denke, ich sollte besser einen klaren Kopf behalten.«
Er nickt. »Keine schlechte Idee.«
»Was genau wollen wir Hayley Mallins eigentlich sagen?«
»Nun, für den Anfang werden wir ihr den wahren Namen ihres Mannes mitteilen. Mal sehen, wie sie darauf reagiert.«
»Und wenn meine Mutter Recht hat und Hayley Mallins nichts über die Vergangenheit ihres Mannes weiß?«
»Hältst du das wirklich für denkbar?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Nichts ergibt einen Sinn.«
»Alles ergibt einen Sinn«, entgegnet Ben. »Wir haben ihn nur noch nicht
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