Tanz, Pueppchen, Tanz
versteckt haben, dass mein Mann eigentlich Rodney Turek hieß und wahrscheinlich von der Polizei gesucht wurde? Warum sollte ich das erzählen?«
»Ich weiß nicht. Weil es die Wahrheit ist?«, fragt Amanda zurück. Die Wahrheit, denkt sie. Was für ein Konzept.
»Als die Polizei mir mitgeteilt hat, dass John erschossen worden ist, war ich zunächst zu verdattert, um irgendwas zu sagen. An jenem Morgen war John gleich früh ausgegangen. Die Kinder und ich hatten darauf gewartet, dass er ins Hotel zurückkehrte. Dann klopfte es, und ich weiß noch, dass ich gedacht habe: ›Seltsam, vermutlich hat John seinen Schlüssel vergessen.‹ Also habe ich gefragt, wer dort war, weil John pedantisch darauf geachtet hat, nie die Tür zu öffnen, wenn man nicht absolut sicher war, wer davor steht. Und eine sehr tiefe Stimme antwortete: ›Mrs. Mallins, hier ist die Polizei.‹ Mein erster Gedanke war, dass man John verhaftet und seine wahre Identität gelüftet hatte und jetzt auch mich verhaften wollte. Eine Millionen Gedanken schossen mir durch den Kopf, und keiner war der richtige. Ist dir das schon mal aufgefallen? Dass man Millionen von Möglichkeiten vorher bedenkt, und keine trifft je zu? Die Wirklichkeit ist immer die eine Alternative, an die man nicht gedacht hat.«
Amanda nickt. Sie weiß genau, wovon Hayley spricht.
»Als die Polizei mir erzählt hat, dass John tot war, in der Hotellobby niedergeschossen, habe ich immer wieder gesagt, das müsse ein Irrtum sein. Sie haben mir eine Million Fragen gestellt darüber, was wir in Toronto machen, ob wir jemanden in der Stadt kennen und ob ich mir irgendeinen Grund vorstellen könnte, warum irgendjemand meinem Mann aufgelauert haben könnte. Ich habe nur ständig wiederholt, was John mir für den Fall eingeschärft hatte, dass irgendwer fragte, was wir hier machten, und gesagt, wir wären auf Urlaub hier.«
»Und als Sie herausgefunden haben, dass die Frau, die Ihren Mann erschossen hat, Gwen Price ist?«
»Ich weiß nicht genau, was ich gedacht habe. Ich habe vermutlich angenommen, dass sie die ganze Geschichte erzählen würde.«
»Und als sie das nicht getan hat?«
Hayley schluckt und streicht mehrere schlaffe Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. »Nun, da war es eigentlich schon zu spät. Was sollte ich machen? Der Polizei erzählen, dass ich gelogen hatte? Dass mein ganzes Leben eine Lüge war? Denk doch an meine Kinder«, sagt sie und senkt die Stimme mit einem Blick auf die geschlossene Zimmertür zu einem Flüstern. »Sie hatten gerade ihren Vater verloren. Wenn sie nun noch erfahren hätten, dass ihr Vater nicht der Mann war, für den sie ihn gehalten haben, und dass die Frau, die ihn erschossen hat, seine Ex-Frau war. Ich hatte solche Angst.«
»Wovor?«
»Dass die Polizei mir die Kinder wegnehmen würde.«
»Niemand wird Ihnen Ihre Kinder wegnehmen«, versichert Ben ihr.
»Sie sind alles, was ich habe«, sagt Hayley und wischt sich frische Tränen von der Wange.
»Niemand wird sie Ihnen wegnehmen«, sagt Ben noch einmal.
»Ich bin direkt nach der Hochzeit schwanger geworden«, sagt Hayley, mehr zu sich selbst als zu Ben oder Amanda.
»Aber nach vier Monaten hatte ich eine Fehlgeburt. Und im Laufe der Jahre folgten noch weitere. Dann hatte ich zwei Totgeburten. Das war das Schlimmste. Ein Kind ganz auszutragen, sodass es perfekt ausgebildet ist, und dann atmet es nicht. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll … Ich will meine Kinder unbedingt mit zurück nach England nehmen.«
»Was glauben Sie, warum Gwen Price der Polizei die Wahrheit nicht erzählt hat?«, fragt Amanda, Hayleys schweifende Gedanken unterbrechend.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig, warum sie ihn erschossen hat.«
»Und Sie sind kein bisschen neugierig?«
Hayley schüttelt den Kopf. »Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit«, sagt sie, als ob das Grund genug wäre, und für eine Weile prallen die Implikationen des schlichten Satzes wie kleine Steinchen von den Wänden ab. »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen«, sagt sie. »Bitte. Mein Kinder sind bestimmt schon außer sich vor Sorge.«
»Für einen Abend haben wir vermutlich genug gesagt«, stimmt Ben zu, während sich Amanda langsam und widerwillig erhebt.
»Du wirst doch niemanden von all dem erzählen, oder?«, fragt Hayley und folgt ihnen zur Tür. »Ich meine, es würde bloß alles verkomplizieren, und niemand hätte etwas davon. Deine Mutter sieht das offensichtlich genauso.
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