Tanz, Pueppchen, Tanz
wenig wahrzunehmen, weil sie sich in und um Krankenhäuser nie besonders wohl gefühlt hat, und konzentriert sich stattdessen mit aller Kraft auf die feuchten Fußabdrücke der anderen Besucher, die kreuz und quer über den Boden verlaufen. Trotzdem registriert sie unwillkürlich die Geschenkboutique, die Apotheke und den kleinen Lebensmittelladen, beinahe so, als wäre sie nicht in ein Krankenhaus, sondern in ein Einkaufszentrum geraten. Nur der Geruch ist verräterisch, denkt sie, und versucht die strenge Mischung aus Desinfektionsmittel und Blumen, Blut und Parfüm zu ignorieren. Der Geruch von Krankheit. Von Angst. Und Kontrollverlust.
Das flüchtige Aroma der eigenen Sterblichkeit.
»Vierter Stock«, erklärt Ben und marschiert forsch zu den Fahrstühlen, ohne ihren Ellenbogen zu fassen oder seine Schritte ihretwegen zu verlangsamen.
Sie erkennt, dass sie ihn verletzt hat, obwohl er das nie zugeben würde. Sie hat alte Wunden aufgerissen, den Verband von einer Narbe gerissen, die gerade begonnen hatte zu verheilen. Da versuchte er, mitfühlend, verständnisvoll und für sie da zu sein, und ihre unmittelbare Reaktion war, so schnell wie möglich von ihm wegzukommen. Überall, nur nicht da zu sein. Genauso wie sie es vor acht Jahren gemacht hatte, als sie ihre Ehe hinter sich ließ. Es funktioniert nicht, hatte sie ihm eines Abends erklärt. Sie lagen im Bett und hatten gerade miteinander geschlafen.
Was funktioniert nicht?
Die ganze Ehekiste.
Wovon redest du?
Ich will raus.
Das verstehe ich nicht. Habe ich irgendwas falsch gemacht?
Nein.
Warum dann? Können wir nicht wenigstens drüber reden?
Da gibt es nichts zu reden. Ich will raus.
Das war’s. Er hatte nicht argumentiert. Er hatte nicht darum gekämpft, dass sie blieb. Er tat, was er immer getan hatte – er nahm sie beim Wort. Und so war ihre Ehe mit ein paar kurzen Sätzen aus und zu Ende, vorbei und erledigt. Als sie ihre Ehe mit Sean beendet hatte, hatte sie sich in etwa an den gleichen Text gehalten. Es funktioniert nicht, hatte sie gesagt, als sie sich für ein Abendessen mit Freunden zurechtmachten. Was soll’s, man konnte sich ebenso gut an das Bewährte halten.
Und jetzt sind wir hier, denkt Amanda, während sie Ben um eine Ecke verschwinden sieht, und fragt sich, seit wann sie für seine Gefühle verantwortlich ist. Sie hat keine Zeit, sich um das angeknackste Ego eines Mannes zu kümmern, keine Zeit, nett zu sein oder fair zu spielen. Außerdem hat Ben sich freiwillig für diesen Schlamassel gemeldet. Ihre Idee war es nicht. Sie hat ihn nicht gebeten, sich einzumischen. Bloß weil sie eine »gemeinsame Vergangenheit« haben, schuldet sie ihm gar nichts. Und bloß weil sie ihn im Auto angefaucht hat, hat er nicht das Recht, ihr jetzt ein schlechtes Gewissen zu machen. Es gibt nichts, weswegen sie sich schuldig fühlen müsste. Nicht seine verletzten Gefühle. Nicht der Selbstmordversuch ihrer Mutter. Das ist alles nicht ihre Schuld. Keiner kann ihr einen Vorwurf machen.
Hatte er nicht genau das gesagt?
Es ist nicht deine Schuld, Amanda. Fang gar nicht erst an, dir Vorwürfe zu machen.
Musste er auch immer so verdammt Recht haben?
»Es tut mir Leid«, entschuldigt sie sich, als sie ihn vor den Aufzügen schließlich einholt. »Ich war echt gemein.«
Er zuckt schweigend die Schultern. Doch als der Fahrstuhl kommt, spürt sie den sanften beruhigenden Druck seiner Hand an ihrem Ellenbogen, als er sie in die Kabine führt. Der Fahrstuhl füllt sich rasch mit Menschen jeglichen Aussehens und aller Hautfarben. Eine behandschuhte Hand greift an ihr vorbei, um auf einen Knopf zu drücken, als ob sie Luft sei. Kein einziges Stockwerk wird ausgelassen, stellt Amanda fest, während sie von den anderen drängelnden Passagieren immer dichter an Ben gedrückt wird. Sie schmiegt sich an seine Seite, und er legt schützend einen Arm um ihre Schulter, während sie den seltsam tröstlichen Duft seiner feuchten Lederjacke einatmet.
Im vierten Stock steigen sie aus und folgen dem Korridor zu dem Schwesternzimmer. »Nummer 426?«, fragt Ben eine kleine Versammlung von Krankenschwestern, die schwatzend hinter einem kleinen Tresen stehen, der von kürzlich angelieferten Blumengestecken verziert wird.
Die Krankenschwestern wenden sich ihnen in einem eleganten synchronisierten Schwung zu, und eine Frau mittleren Alters mit glänzender brauner Haut und lockigen schwarzen Haaren löst sich von der Gruppe. »Sie suchen Gwen Price?«
»Wie geht es ihr?«,
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