Tanz, Pueppchen, Tanz
so?«
»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, fragt Hope ihre Mutter, ohne Ben und Amanda zu beachten. »Wir haben euch trotz des Fernsehers streiten gehört.«
»Alles in Ordnung, mein Schatz. Die Leute wollten gerade gehen.«
»Wir brauchen nur noch ein paar Minuten mit eurer Mutter«, sagt Ben.
»Sieht nicht so aus, als wollte sie Ihnen ein paar Minuten geben«, erklärt Spenser, löst sich von seiner Schwester und baut sich zwischen seiner Mutter und den ungebetenen Gästen auf.
»Spenser …«, setzt Amanda an.
»Gehen Sie, oder wir müssen die Polizei verständigen.«
Amanda muss beinahe lächeln und fragt sich, ob es der steife englische Akzent des Jungen oder seine förmliche Ausdrucksweise ist, die ihn so reif klingen lässt.
»Schon gut, Spenser.« Hayley lächelt mit mütterlichem Stolz. »Ich komme zurecht. Du und Hope, ihr könnt weiter Fernsehen gucken.«
Hope wendet sich bereits wieder in Richtung Schlafzimmer. Dafür ist Victor verantwortlich, und das weißt du auch.
»Bist du sicher, dass alles okay ist?«
»Auf jeden Fall. Ich komme sofort.«
Hope nickt und macht ihrem Bruder mit dem Kopf ein Zeichen, ihr zu folgen. Aber Spenser verschränkt die Arme, baut sich noch breitbeiniger auf, offensichtlich nicht bereit, sich vom Fleck zu rühren.
»Mir geht es gut«, versichert Hayley Mallins ihrem Sohn ein weiteres Mal. »Ich komme hier schon zurecht. Geh jetzt, Püppchen.«
Und dann rauscht das Blut in Amandas Ohren, und der Raum explodiert, und alles wird still.
29
»Was haben Sie gesagt?«, fragt Amanda, als sie ihre Stimme wiedergefunden hat.
Von Amandas Ton sichtlich verschreckt macht Spenser einen Schritt zurück.
»Was ist los?«, fragt Hayley, die die atmosphärische Veränderung spürt und Ben besorgt ansieht.
»Spenser«, sagt Ben. »Warum gehst du nicht mit deiner Schwester?« Das ist offensichtlich eine Anweisung und keine Bitte.
»Geh schon, Liebes«, drängt seine Mutter.
»Ich will aber nicht gehen.«
»Bitte, Schätzchen. Es wird alles gut. Versprochen.«
Der Junge zögert immer noch. »Schreist du, wenn du Hilfe brauchst?«
»Ich versichere dir, dass das nicht nötig sein wird«, sagt Ben, während Amanda gegen den Drang ankämpft, selber zu schreien.
Widerwillig lässt der Junge seine Mutter zurück und trödelt zur Schlafzimmertür.
»Wie haben Sie ihn genannt?«, fragt Amanda, die dem Jungen mit forschen Schritten folgt und die Tür hinter ihm schließt.
»Ich verstehe nicht«, stottert Hayley und blickt Ben Hilfe suchend an.
»Sie haben ihn Püppchen genannt.«
»Ja. Hab ich wohl. Warum?«
»Das sollen Sie mir sagen.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Es ist bloß ein Kosename.«
»Nicht bloß irgendein Kosename.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.«
Amanda braucht einen Moment, um ihre Fassung wieder zu gewinnen. Ist es möglich, dass Püppchen als Kosename verbreiteter ist, als sie dachte, ebenso häufig wie Bärchen oder Schätzchen? Dass er Länder- und Kulturgrenzen überschreitet, weshalb Hayleys unbefangener Gebrauch des Namens nur ein erstaunlicher Zufall ist? Ist das möglich?
»So hat mich meine Mutter immer genannt«, sagt Amanda, »als ich klein war.«
»Tatsächlich?« Hayleys Stimme dringt beinahe unhörbar aus ihrer Kehle. »Nun, ich nehme an, so ungewöhnlich ist das nicht.«
»Ich glaube schon«, beantwortet Amanda ihre eigene Frage.
»Also …«, setzt Hayley an, sagt jedoch nichts weiter.
»Als kleines Mädchen habe ich Puppen geliebt … Marionetten … wie immer man sie nennen will. Und meine Mutter hat mich an den Händen gehalten und an ihren Fingerspitzen baumeln lassen und gesagt: ›Püppchen, Püppchen …‹«
Hayleys Gesichtsfarbe wechselt von Bleich zu Leichenblass. »›Wer ist mein kleines Püppchen?‹«, flüstert sie, als sich die Blicke der beiden Frauen treffen, und ihr flacher Atem wie ein Echo des jeweils anderen klingt. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Amanda Travis«, antwortet Amanda langsam und jedes Wort betonend. Dann macht sie eine Pause, nicht um des dramatischen Effekts willen, sondern weil sie gefährlich kurzatmig ist. »Gwen Price ist meine Mutter.«
Hayley taumelt rückwärts gegen den nächsten Stuhl und greift sich an die Brust. »Mandy?« keucht sie, als würde sie nach Luft schnappen.
Amanda spürt, wie sich jedes Härchen ihres Körpers aufstellt, als ob sie gerade auf ein Kabel getreten wäre, das unter Strom steht.
»Mein Gott.« Hayley reißt die Augen auf und saugt
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