Tanz, Pueppchen, Tanz
Erinnerung auftaucht, und macht dann unwillkürlich einen Schritt zurück, bis sie Ben in ihrem Rücken spürt.
»Ja? Wer sind Sie?«
»Amanda Travis«, wiederholt Amanda. »Das ist Ben Myers.« Mrs. Thompsons Blick zuckt zwischen den beiden hin und her. »Meine Mutter wohnt ein paar Häuser weiter.«
Amanda deutet vage die Richtung an. »Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht mehr an mich.«
»Sollte ich?«
»Nun, vermutlich nicht. Ich wohne seit einiger Zeit nicht mehr bei meiner Mutter und habe mich ziemlich verändert.«
»Was wollen Sie?«
Amanda räuspert sich. »Ich möchte Ihnen bloß ein paar Fragen stellen.«
»Worüber?«
»Vielleicht könnten wir reinkommen.«
»Was wollen Sie?«, fragt die Frau noch einmal, ohne ihre Bitte zu beachten.
Amanda schluckt kalte Luft, riecht den Kaffeeduft aus dem Haus und hätte schrecklich gern eine Tasse. »Mrs. Thompson. Meine Mutter ist Gwen Price.«
Schweigen. Mit einem Blinzeln gibt sie zu verstehen, dass sie den Namen kennt, bevor sie sagt: »Ich verstehe trotzdem noch immer nicht, was Sie von mir wollen.«
Ich auch nicht, muss Amanda ihr Recht geben. Laut sagt sie: »Erinnern Sie sich zufällig an Mr. Walsh? Er hat in dem Haus neben meiner Mutter gewohnt.«
»Mr. Walsh? Nein. Nie gehört.«
»Dann wissen Sie wohl auch nicht, ob er eine Tochter hatte?« Blöde Frage, denkt Amanda, während die Frau die Lippen schürzt und die Augen verdreht.
»Wie soll ich wissen, ob er eine Tochter hatte, wenn ich mich nicht mal an ihn erinnern kann?« Falls das überhaupt möglich ist, ist der Ton der Frau inzwischen eisiger als der Bürgersteig.
Amanda nickt. Ihre Mutter hatte Recht.
»Was ist mit Mrs. MacGiver?«, fragt Ben. »Sie wohnt auf der anderen Straßenseite …«
»Die verrückte alte Schachtel, die immer im Morgenmantel auf der Straße herumläuft?«
»Genau die.«
»Was ist mit ihr?«
»Sie hat jemanden namens Lucy erwähnt«, fährt Amanda fort. »Ich habe mich gefragt, ob Sie …«
Mrs. Thompson wirkt mit einem Mal sehr erregt. Ihre Schultern zucken vor und zurück, als ob ihr sekündlich Flügel wachsen würden. »Was für eine Tour wollen Sie hier abziehen?«, fragt sie wütend.
»Verzeihung?«
»Dafür habe ich keine Zeit.« Sie versucht die Tür zuzumachen, doch Ben hält sie mit einer Hand auf.
»Das verstehe ich nicht«, sagt er. »Was ist gerade passiert?«
»Wer ist Lucy?«, will Amanda wissen.
»Das wissen Sie wirklich nicht?«, murmelt Mrs. Thompson ungläubig.
»Nein.« Amanda verspürt ein scharfes Stechen in der Brust und merkt, dass sie die Luft anhält.
»Sie wollen mir erzählen, dass Sie Ihre eigene Schwester nicht kennen«, stellt die Frau fest.
»Was?«
Dann wird die Tür vor Amandas Nase zugeschlagen.
Die weiße Corvette rast über die Bloor Street Richtung Four Seasons Hotel.
»Was zum Teufel geht hier vor, Ben?«
»Reg dich nicht auf, Amanda«, ermahnt Ben sie, wie er es seit Mrs. Thompsons verblüffender Erklärung immer wieder getan hat.
»Das ergibt überhaupt keinen Sinn.« Amanda trampelt ungeduldig mit den Füßen, als die Ampel an der Kreuzung der Bloor Street und Spadina Avenue von Gelb auf Rot springt. »Fahr durch«, drängt sie, aber Ben beachtet sie nicht, sondern hält an. »Los, mach schon«, herrscht Amanda die störrische Ampel an und wippt noch ungeduldiger mit den Füßen. »Was ist denn los mit dem verdammten Ding? Meinst du, sie ist hängen geblieben?«
»Es ist erst seit ein paar Sekunden Rot.«
»Fahr einfach durch, verdammt noch mal. Es kommt eh kein Auto.«
»Nun, reg dich ab, Amanda. Wir wollen schließlich heil ankommen.«
Ist es möglich, dass die alte Mrs. MacGiver Recht hat und Mr. Walsh gar keine Tochter hatte? Dass die Person, die sie an ihren Armen hat baumeln lassen wie eine lebendige Marionette, ein Mädchen namens Lucy war?
Die Ampel springt auf Grün. »Los«, weist Amanda Ben an, bevor der eine Chance hat zu reagieren.
Ist es möglich, dass das, was Mrs. Thompson gesagt hat, stimmt? Dass Lucy ihre Schwester ist?
»Hayley Mallins ist uns ein paar Antworten schuldig.«
Amanda starrt aus dem Fenster, bekümmert von den vielen Autos, die wie aus dem Nichts und scheinbar nur zu dem Zweck aufgetaucht sind, ihre Fahrt zu bremsen. »Ich verlasse ihr Zimmer erst wieder, wenn sie angefangen hat, uns die Wahrheit zu sagen.«
Und wenn Hayley Mallins nicht Mr. Walshs Tochter ist, sondern jemand namens Lucy, und Lucy ihre Schwester ist …
»Vergiss nicht, dass
Weitere Kostenlose Bücher