Tanz, Pueppchen, Tanz
Schütze allerdings der Sohn eines prominenten Politikers oder einer der Passanten zufällig jung und hübsch ist, sodass die Geschichte gute Chancen hat, auf der Titelseite der Palm Beach Post zu landen, dann wird es ein Fall für Jackson Beatty oder Stanley Rowe, die all die wirklich guten Sachen für sich behalten.
»Die wirklich guten Sachen«, sagt Amanda laut und fragt sich, wann sie so zynisch geworden ist. Und worüber sie sich mehr aufregt – die Tatsache, dass Derek Clemens in vier Anklagepunkten frei- oder in einem schuldig gesprochen worden ist?
Ein paar Sekunden steht sie vor ihrer Wohnungstür, bevor sie beinahe zögernd eintritt. Wie viele Nachrichten von ihrem Ex-Mann erwarten sie auf dem Anrufbeantworter? Obwohl er in der Kanzlei überraschenderweise keine Mitteilungen mehr hinterlassen hatte.
Auch hier nicht. »Gut«, sagt Amanda und entkorkt in der Mitte ihrer ganz in Weiß gehaltenen Küche die Weinflasche.
»Gut«, sagt sie noch einmal und fühlt sich ein kleines bisschen versetzt. Sie gießt ein Weinglas fast voll und trinkt einen großen Schluck, bevor sie beschließt, dass sie wahrscheinlich besser etwas essen sollte. Sie macht den Kühlschrank auf, der jedoch nur eine Flasche Orangensaft und ein Dutzend Fruchtjoghurts enthält. Sie überprüft das Verfallsdatum auf dem Erdbeer-Kiwi-Joghurt und stellt fest, dass es vor fünf Tagen abgelaufen ist, was bedeutet, dass auch die anderen Joghurts nicht mehr taufrisch sein können, weil sie sie alle am selben Tag gekauft hat. Wie lange ist das her? Wann war sie zum letzten Mal einkaufen? Es ist nicht mal Milch im Haus, Herrgott noch mal.
Was für eine Mutter ist sie, wenn sie nicht mal dafür sorgt, dass Milch für das Baby im Haus ist?
»Zum Glück hab ich kein Baby«, stellt Amanda fest, als würde sie in eigener Sache plädieren. Mit dem Weinglas in der einen Hand und der Weinflasche in der anderen schlendert sie ins Wohnzimmer. »Sehen Sie? Kein Baby.« Sie trinkt einen weiteren Schluck Wein, streift die Schuhe ab und lässt sich auf das weiße Stoffsofa fallen, bevor sie das halbe Glas mit einem großen Schluck leert, so wie ihre Mutter es immer getan hat.
Es ist eigentlich gar nicht überraschend, dass Ben nicht angerufen hat, denkt sie. Er hat nie zu der Sorte Männer gehört, die eine zarte Andeutung nicht verstehen. Er wusste immer, wann er aufhören, aufgeben, die Verluste abschreiben und das Weite suchen musste.
Überraschend ist vielmehr, dass er sie überhaupt angerufen hat.
Amanda kichert. Die Umstände waren natürlich auch ziemlich außergewöhnlich. Schließlich begeht die eigene Mutter nicht jeden Tag einen Mord.
Wer konnte andererseits wissen, wie viele Menschen ihre Mutter im Laufe der Jahre umgebracht hat. John Mallins war vielleicht der Erste, den sie derart öffentlich erledigt hatte, aber Amanda ist überzeugt, dass überall Leichen lauern.
Sie leert ihr Glas in einem Zug und gießt es wieder voll, wobei ein paar Tropfen auf die weißen Fußbodenfliesen fallen und die Ecke ihres weißen, mit einer schwarzen Borte verzierten Teppichs nur knapp verfehlen. Sie sollte wirklich ein paar neue Möbel anschaffen. Einen Stuhl für die Lücke an der linken Wand, vielleicht einen Couchtisch und eine weitere Lampe. Ihre Wohnung hat immer irgendwie unfertig ausgesehen, als ob sie erst demnächst einziehen wollte. Oder ausziehen.
Genauso wie ich es mag, denkt sie und trinkt noch einen Schluck, während sie die nackten weißen Wände betrachtet und spürt, dass sich ihre Schultern endlich entspannen.
»Auf den Mann im Mond«, sagt sie, nickt ihm zu und nippt an ihrem Wein. »Und auf Ben, meinen ersten Ex-Mann.«
Diesmal trinkt sie einen größeren Schluck. »Und auf Sean, meinen zweiten.« Noch ein Schluck und dann noch einer.
»Verdammt, auf alle meine gewesenen und zukünftigen Ex-Männer.« Sie hebt ihr Glas in die Höhe. »Und auf alle ahnungslosen Opfer meiner Mutter: der alte Mr. Walsh; John Mallins. Meinen Vater«, flüstert sie und rappelt sich hoch.
»Oh nein. Nicht das wieder. Kommt überhaupt nicht in Frage.«
Es klingelt. Amanda starrt auf die Tür, ohne sich zu rühren. Nach ein paar Sekunden klingelt es erneut.
»Mach auf, aufmachen«, befiehlt eine Frau.
Amanda erhebt sich und öffnet die Tür, ohne zu fragen, wer es ist. »Janet«, sagt sie zu der Besucherin mit dem dichten hellbraunen Pony und fragt sich, wieso man sich erst die Stirn liften lässt, wenn man sie anschließend komplett verdeckt. Sie
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