Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz, Pueppchen, Tanz

Tanz, Pueppchen, Tanz

Titel: Tanz, Pueppchen, Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
gut.«
    »Sie hat ja auch nicht drei Kugeln aus nächster Nähe abgekriegt.«
    »Wohl wahr.«
    »Und willst du mir jetzt erzählen, was passiert ist?«
    »Das habe ich dir schon erzählt.«
    »Meine Mutter hat in der Lobby des Four Seasons Hotels einen wildfremden Mann erschossen«, rekapituliert Amanda. Egal wie oft sie es sagt, es ergibt keinen Sinn. Die Worte erscheinen vielmehr mit jeder Wiederholung sinnloser, verlieren wie Kleidung, die durch häufiges Waschen ausbleicht, ihren Glanz und verblassen. Sie könnte ebenso gut in einer fremden Sprache reden. »Und was noch?«
    »Sonst nichts.«
    »Ben, ich hab den weiten Weg nicht für sonst nichts gemacht.«
    »Glaubst du, wenn ich noch etwas wüsste, würde ich es dir verschweigen?«
    »Dann erzähl mir noch einmal, was du weißt.«
    Er macht eine Pause, schnappt nach Luft, als würde er einen Schluck Wasser trinken, bevor er langsam ausatmet, sodass sich sein warmer Atem über die Windschutzscheibe breitet wie ein zähflüssiger Fleck. »Soweit ich weiß, hat deine Mutter in der Lobby des Hotels gesessen, als ein Gast des Hauses, ein Mann namens John Mallins, an die Rezeption kam. Laut zahlreicher Zeugen hat deine Mutter sich in aller Seelenruhe von ihrem Stuhl erhoben, ist durch die Lobby gegangen, hat eine Pistole aus ihrer Handtasche gezogen und dreimal auf John Mallins geschossen, woraufhin sie ihren Platz wieder eingenommen und still auf die Ankunft der Polizei gewartet hat.«
    »Du meinst, sie ist in keiner Weise provoziert worden?«
    »Offenbar nicht.«
    »Und sie hat kein Wort zu ihm gesagt?«
    »Jedenfalls hat niemand etwas gehört.«
    »Hat er irgendwas zu ihr gesagt?«
    »Dazu hatte er keine Gelegenheit.«
    »Sie ist einfach auf ihn zu gegangen und hat ihn erschossen«, stellt Amanda fest.
    »Offenbar«, sagt Ben noch einmal.
    Warum sagt er das ständig, fragt sich Amanda. Nichts an all dem ist offenbar oder offensichtlich.
    »Laut Angaben eines Hotelangestellten hat sie den ganzen Nachmittag in der Lobby gesessen«, fährt Ben unaufgefordert fort.
    »Was willst du damit sagen? Dass sie ihm aufgelauert hat?«
    »Allem Anschein nach.«
    Amanda stellt sich vor, wie ihre Mutter in der Ecke einer Hotellobby sitzt und geduldig darauf wartet, einen ahnungslosen Fremden niederzuschießen. »Wie sah dieser Typ überhaupt aus?«
    »Mittelgroß, leicht untersetzt, dunkle Haare, Schnurrbart.«
    »Wie alt ist er? War er?«, verbessert sie sich sofort.
    »Ende vierzig.«
    »Ende vierzig«, wiederholt Amanda und versucht sich den Mann vorzustellen. »Das kapiere ich nicht. Wer ist dieser Typ?«
    »Amanda …«, sagt Ben geduldig.
    »Ben«, unterbricht sie ihn, »meine Mutter ist vielleicht ein Fall für die Klapse, aber sie ist nicht so verrückt, dass sie den ganzen Tag in einer Hotellobby sitzt und darauf wartet, einen wildfremden Menschen zu ermorden. Sie kannte den Mann offensichtlich. Sie wusste, dass er in der Stadt war, und sie wusste, wo er wohnte. Das bedeutet, es muss irgendeine Verbindung zwischen ihnen geben.«
    »Wenn es die gibt, lässt deine Mutter uns jedenfalls nicht daran teilhaben.«
    »Sie sagt, sie hätte wahllos …«
    »Sie sagt gar nichts«, erwidert er.
    Amanda starrt auf den Schnee, der die Landschaft entlang des Highway 401 dreißig Zentimeter hoch bedeckt, und schüttelt zunehmend frustriert den Kopf. »Kann es sein, dass es irgendeine Krise im Zusammenhang mit den Wechseljahren ist?«
    »Dafür ist sie wohl schon ein bisschen zu alt, oder?«
    Amanda sieht ihn fragend an. Sie hat ihre Mutter immer für eine relativ junge Frau gehalten, obwohl sie schon vierunddreißig war, als Amanda geboren wurde. Somit ist sie jetzt fast zweiundsechzig, rechnet Amanda, und damit definitiv zu alt für Krisensymptome im Zusammenhang mit den Wechseljahren. Aber wann hatte sich ihre Mutter je an einen anderen Zeitplan als ihren eigenen gehalten?
    »Meinst du, es könnte Alzheimer sein?«
    »Das ist vermutlich eine Möglichkeit.«
    »Aber du glaubst es nicht?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, gibt er zu.
    »Warum?«
    »Sie wirkt sehr …«
    »Sehr was?«
    »Sehr gefasst und vernünftig.«
    »Meine Mutter wirkt vernünftig«, wiederholt Amanda.
    »Jetzt weiß ich, dass sie verrückt ist.«
    Ben lacht, und Amanda stellt fest, wie angenehm sein Lachen klingt und wie selten sie es gehört hat.
    »Ist sie von einem Psychologen untersucht worden?«
    »Ich weiß nicht, ob es das trifft«, sagt Ben, »da sie sich geweigert hat, auch nur ein Wort mit ihm zu

Weitere Kostenlose Bücher