Tanz, Pueppchen, Tanz
herrscht zum Glück nicht viel Verkehr, aber als sie den Allen Expressway erreichen, geht es nur noch im Schritttempo vorwärts. Irgendwo zwischen der Lawrence und der Eglinton Avenue schließt sie die Augen und gibt vor zu dösen. Sie hat kein Interesse, die Veränderung zu betrachten, die die Zeit hinterlassen hat, und noch viel weniger Lust, das Gespräch fortzusetzen. Der Trick funktioniert überraschend gut, sodass Amanda tatsächlich einschläft und erst aufwacht, als Ben in die Einfahrt des gepflegten Hotels in Midtown Toronto einbiegt.
»Ich bin eingeschlafen?«
»Komplett mit Schnarchen und allem«, bestätigt Ben.
»Ich hab geschnarcht?«
»Manche Dinge ändern sich vermutlich nie.«
Obwohl ihr, als der Portier ihre Wagentür öffnet, kalte Luft entgegenströmt, spürt Amanda, wie ihre Wangen heiß werden. »Frauen schnarchen nicht«, erklärt sie Ben gereizt, fasst die dargebotene Hand des Portiers und hievt sich aus dem Wagen. »Ich schnarche nicht.« Sie weiß nicht, ob sie wegen seiner beiläufigen – und irgendwie Besitz ergreifenden – Erwähnung ihrer gemeinsamen Vergangenheit wütend auf ihn ist oder auf sich selbst, weil sie eingeschlafen ist und so ihre Verwundbarkeit gezeigt und ihm die Oberhand überlassen hat. Die Oberhand über was, fragt sie sich, greift auf den Rücksitz, um ihre Tasche zu nehmen, und spürt, wie die Lederfinger von Bens Handschuhen ihre nackten Fingerknöchel streifen. »Ich kann das nehmen«, erklärt sie ihm, nimmt die Tasche und schleppt sie in die Lobby. »Du musst nicht mit reinkommen.« Doch er ist schon in der Drehtür, und als sie sich hindurchgezwängt hat, ist er nur noch wenige Schritte von der Rezeption entfernt.
Amanda bleibt abrupt stehen und spürt den Luftzug der sich hinter ihr weiterdrehenden Tür. Hier ist es also passiert, denkt sie und versucht einen Hauch von Blut in der parfümierten Luft zu erschnuppern. Hier hat meine Mutter einen Mann erschossen.
Sie starrt auf den großen rechteckigen Teppich mit Blumenmuster, der in der Mitte der großen, hell erleuchteten Lobby liegt, und sucht auf der dunklen Wolle vergeblich nach braunen Flecken, was nur bedeuten kann, dass der Teppich ausgetauscht wurde. Man sollte seine sorglosen Gäste schließlich nicht mit einer Blutlache begrüßen. Das macht gar keinen guten Eindruck.
Auf einem Mahagonitisch in der Mitte des Teppichs steht ein Strauß aus echten Blumen. Kupferbrauner Marmor bedeckt Böden und Wände. Säulen aus Spiegelglas strecken sich zu der hohen Decke. Am anderen Ende der Halle befindet sich eine Reihe verzierter Fahrstühle, die Rezeption liegt zu ihrer Rechten. Auf der linken Seite gibt es eine Bar und mehrere bequeme Sitzecken mit jeweils einem Sofa und zwei Stühlen in passenden Beigetönen. Dort hat meine Mutter den ganzen Tag gesessen und darauf gewartet, einen der Gäste zu ermorden, begreift Amanda und versucht zu erraten, welchen Platz ihre Mutter wohl gewählt hat.
»Amanda«, ruft Ben von der Rezeption. »Sie brauchen irgendeinen Ausweis.«
Amanda setzt sich in seine Richtung in Bewegung, obwohl es ihr vorkommt, als hätte sie jedes Gefühl in den Beinen verloren. Sie spürt, wie ihre Knie nachgeben und sie ins Stolpern gerät. Ben ist sofort an ihrer Seite, legt eine Hand auf ihren Ellenbogen und führt sie.
»Alles in Ordnung?«
»Die haben ja ziemlich fix sauber gemacht«, murmelt sie, weist seine Fürsorge mit einem ungeduldigen Kopfschütteln ab und präsentiert dem Mann an der Rezeption ihren Pass.
»Guten Abend, Miss Travis.« Das Lächeln des jungen Mannes entblößt mindestens ein Dutzend mehr Zähne als notwendig. »Schön, Sie als unseren Gast begrüßen zu dürfen. Wie ich sehe, bleiben Sie eine Woche.«
»Nein«, verbessert ihn Amanda scharf.
Der Angestellte erbleicht sichtlich, und seine Zähne verschwinden hinter dünnen Lippen.
»Zwei Nächte sind mehr als ausreichend.« Amanda sieht ihren Ex-Mann wütend an, als wollte sie sagen: Wie um alles in der Welt kommst du darauf, dass ich in Erwägung ziehen könnte, eine ganze Woche zu bleiben?
Ben sagt nichts. Der Hotelangestellte schiebt ihr ein Formular über den Tresen und zeigt ihr, wo sie unterschreiben muss.
»Brauchen Sie keinen Abzug von meiner Kreditkarte?«, erkundigt sich Amanda, als der Angestellte nicht danach fragt.
»Das hat der Herr schon geregelt.«
Amanda lächelt mit zusammengepressten Lippen und gibt dem Angestellten ihre eigene Kreditkarte, während sie Ben flüsternd anzischt: »Was
Weitere Kostenlose Bücher