Tanz, Pueppchen, Tanz
sprechen. Sie macht es sich selbst nicht leichter.«
»Und das überrascht dich, weil …?«
Er lacht wieder, obwohl es diesmal irgendwie abgewürgt klingt, als würde sich eine Schlinge um seinen Hals langsam zuziehen. »Vielleicht redet sie ja mit dir.«
Amanda schließt die Augen und versucht, sich an das letzte Gespräch mit ihrer Mutter zu erinnern. Sie hört wütende laute Stimmen, achtlos hin und her geworfene Anschuldigungen. Nun, kein Wunder, dass dein Vater einen Herzinfarkt hatte, bei einer Tochter wie dir!
»Wann kann ich sie sehen?«
»Ich dachte, dass wir morgen um eins hinfahren.«
»Wo ist sie?«
»Metro West Detention Center.«
»Wie ist es da?«
»Es ist jedenfalls nicht das Four Seasons Hotel.«
»Na, dann bringt sie vielleicht wenigstens nicht noch jemanden um.« Amanda schüttelt den Kopf, als wollte sie fragen: Ist das alles wirklich wahr? Findet dieses Gespräch tatsächlich statt? »Wird es Probleme geben, mich mitzunehmen?«
Ben schüttelt den Kopf. »Ich erzähl ihnen, dass du meine Assistentin bist.«
Amanda ignoriert das verspielte Funkeln in seinen Augen. »Weiß sie, dass ich hier bin?«
»Nein.«
»Hältst du das für eine gute Idee? Sie steht nicht besonders auf Überraschungen.«
»Ich wollte nichts sagen für den Fall, dass …«
»Für den Fall, dass ich nicht aufkreuze?«
»So in etwa.«
Sie blickt wieder aus dem Fenster und liest an einem flachen Backsteingebäude die riesige Aufschrift Zweite Haut. Prima Idee, denkt sie zitternd in ihrem schwarzen Mantel. Eine zweite Haut könnte ich gut gebrauchen.
»Immer noch kalt?«, fragt Ben und dreht an der Heizung. Ein frischer warmer Luftstrom pustet auf ihre Füße.
»Ich habe wohl einfach vergessen, wie kalt es hier um diese Jahreszeit wird.«
»Manche Jahre sind schlimmer als andere.«
Amanda nickt und betrachtet sein Profil. Seine Nase ist länger, als sie sie in Erinnerung hatte, und seine Wangenknochen sind ausgeprägter. In jeder Hinsicht ein attraktiver Mann, denkt sie, spürt ein altes Kribbeln und muss sich zwingen, den Blick abzuwenden. »Und wie ist es dir ergangen?«, fragt sie nach einer längeren Pause.
»Mir geht’s gut.«
»Bist du gerne Anwalt?«
»Ja. Und du?«
»Ich auch.« Sie lacht. »Wir hören uns an, als wollten wir heiraten.«
Er lächelt matt. »Ich denke, einmal reicht, meinst du nicht?«
Sie nickt. »Hast du wieder geheiratet?« Seine Hände stecken in dicken schwarzen Lederhandschuhen, aber sie erinnert sich nicht, am Flughafen einen Ring bemerkt zu haben. Sie fragt sich, was er mit seinem alten Ehering gemacht hat, ob es ihm leichter gefallen war, den Ring abzulegen als irgendwann mal auf seine Corvette zu verzichten.
Er schüttelt den Kopf.
»Eine Freundin?«
»Ja, schon, eine Freundin«, gibt er nach kurzem Zögern zu, offensichtlich nur widerwillig bereit, Einzelheiten seines Privatlebens vor ihr auszubreiten.
»Eine Freundin, die deine Freundin ist«, neckt sie ihn, obwohl die Vorstellung, dass er mit irgendwem zusammen sein könnte, sie auf eigenartige Weise stört. Warum, fragt sie sich, selbst überrascht von dieser fast instinktiven Reaktion. Seit sie ihn verlassen hat, gab es Dutzende von Männern, von einer weiteren Ehe mit anschließender Scheidung ganz zu schweigen. Hat sie ernsthaft geglaubt, dass er sich all die Jahre nach ihr verzehrt und nur darauf gewartet hat, dass sie zur Vernunft und nach Hause kommt? Hat sie auch nur das geringste Interesse daran, den winzigen Funken wieder zu schüren, der offensichtlich noch zwischen ihnen glimmt? Sie lacht laut und verdrängt den beunruhigenden Gedanken.
»Alles in Ordnung?«
»Was macht deine Freundin denn?«, fragt Amanda, ohne seine Frage zu beantworten, und beschließt, dass es vielleicht durchaus nett sein könnte, in Erinnerung an die alten Zeiten noch einmal mit Ben zu schlafen, sie für mehr aber bestimmt nicht zur Verfügung steht. Hatte ich, erinnert sie sich. War ich schon.
»Sie ist auch Anwältin.«
»Sag bloß.«
»Beim Büro des Crown Attorney.«
Das war das kanadische Äquivalent eines US-amerikanischen Distriktstaatsanwalts. »Das heißt, du schläfst mit dem Feind.«
Ben sagt gar nichts, aber Amanda bemerkt die tiefen Falten in den schwarzen Lederhandschuhen, als seine Finger das Steuer fester umklammern.
Wer hätte das gedacht, denkt sie und wiederholt dann laut: »Wer hätte das gedacht?«
»Was?«
»Alles.«
Er nickt. »Wer hätte das gedacht?«, stimmt er ihr zu.
8
Auf dem Highway
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