Tanz, Pueppchen, Tanz
Unterstützung.
Ich brauchte dich auch.
Du warst immer so stark und unabhängig. Deine Mutter …
Meine Mutter ist eine Verrückte. Sie war damals schon verrückt, und jetzt ist sie noch verrückter.
Sie braucht dich.
Amanda muss trotz ihrer Tränen lachen. Wann hat ihre Mutter sie je gebraucht? »Ich habe keine kanadische Anwaltslizenz, Daddy. Außerdem hat sie schon einen guten Anwalt. Ich bin sicher, du erinnerst dich an Ben. Mom hat gesagt, er wäre der letzte Nagel in deinem Sarg gewesen.«
Das hat sie nicht so gemeint.
Du hast mal gesagt, dass es Dinge gäbe, die du mir erzählen müsstest und die alles erklären würden, wenn ich alt genug wäre zu verstehen und die Zeit reif … Amanda wischt sich die Tränen aus den Augen. Die Zeit war nie reif, oder, Daddy?
EDWARD PRICE. 1933-1992.
LIEBEVOLLER EHEMANNN UND VATER.
IN UNSEREN HERZEN LEBST DU FÜR IMMER
WEITER.
Die Zeit läuft ab, und Menschen sterben, denkt Amanda, als sie zu dem wartenden Taxi zurückgeht. Es ist die Schuld, die für immer weiterlebt.
10
»Tut mir Leid, dass ich zu spät bin«, entschuldigt Amanda sich, als sie auf dem Beifahrersitz von Bens weißer Corvette Platz nimmt. »Ich habe beschlossen, mir ein paar Winterstiefel zu kaufen, und die Geschäfte haben erst um zwölf aufgemacht.« Er wirkt ein wenig abgelenkt, weshalb sie darauf verzichtet, ihm von ihrem spontanen Besuch auf dem Friedhof zu erzählen. Stattdessen streckt sie ihre langen Beine aus und präsentiert stolz ihre neuen Lederstiefel, die ihre schwarze Hose bis zum Knie bedecken. »Sie sind sogar gefüttert.«
»Sehr hübsch«, sagt er, ohne hinzugucken. »Ich hoffe, du hast gegessen. Wir haben keine Zeit mehr zum Mittagessen.«
»Ich habe ausgiebig gefrühstückt. Bacon, Eier, Toast. Das ganze Programm. Damit sollte ich bis zum Abend auskommen.« Sie fragt sich, ob er verärgert über ihre Verspätung ist und sie deshalb nicht ansieht. »Ist alles in Ordnung? Ich meine, meine Mutter … es ist doch nichts passiert, oder?«
»Es ist nichts passiert.«
»Okay.« Sie zögert und starrt aus dem Fenster, als sie aus der Einfahrt des Hotels in die Avenue Road biegen. »Ich habe die Artikel gelesen, die du mir gegeben hast. Sie waren ziemlich vage.«
»Und das Bild von John Mallins kommt dir kein bisschen bekannt vor?«
»Ich habe den Mann noch nie in meinem Leben gesehen.«
Ben zuckt mit den Schultern, ohne den Kopf zu wenden. Er sagt nichts, und das Schweigen breitet sich aus, während die Avenue Road in die University Avenue übergeht. Sie fahren am Royal Ontario Museum und dem ehemaligen Planetarium vorbei, weiter durch den Kreisverkehr am Queen’s Park und an den Parlamentsgebäuden und dem City-Campus der University of Toronto entlang.
»Und wie war deine Verabredung gestern Abend?«
»Nett.«
»Was hast du gemacht?«
»Ein Abendessen bei Freunden.«
»So? Jemand, den ich kenne?«
»Das glaube ich kaum.«
»Keine Freunde mehr aus alten Zeiten?«, neckt sie ihn, obwohl sein Tonfall deutlich macht, dass er das Thema nicht vertiefen will.
»Du warst meine einzige Freundin«, erinnert Ben sie, als er an einer roten Ampel an der College Street hält und sie zum ersten Mal seit ihrer Abfahrt vom Hotel ansieht.
»Keine besonders gute«, muss Amanda zugeben.
Er zuckt noch einmal die Achseln, so heftig, dass der Kragen seiner schwarzen Lederjacke seine Ohren streift. »Seitdem ist viel Wasser ins Meer geflossen.«
»Wir waren noch jung.«
»Das sind wir immer noch.«
Amanda nickt, obwohl sie sich seit einiger Zeit nicht mehr besonders jung fühlt. »Meinst du, wir könnten wieder Freunde sein«, schlägt sie vor. »Ich meine, es ist ja nicht für sehr lange. Wenn ich weg bin, kannst du mich wieder hassen.«
»Ich hasse dich nicht, Amanda.«
»Das solltest du aber.« Die Ampel springt auf Grün, und die Corvette schießt sofort los, vorbei an dem verspiegelten Hydro-Gebäude und der Reihe von Krankenhäusern, die beide Seiten der breiten Straße säumen. Der Wagen schmiegt sich an die Straße, die Erschütterungen diverser Schlaglöcher und Risse bewegen sich zwischen Amandas Nacken und Zehen hin und her. »Ich hatte vergessen, dass man in diesem Ding jeden Hubbel auf der Straße spürt.«
»Jeden Hubbel«, bestätigt er. »Das ist übrigens das Gericht.« Er weist auf ein Gebäude auf der linken Straßenseite.
»Die Kautionsanhörung deiner Mutter ist am Dienstag.«
Amanda wird blass. »Es ist sehr seltsam, die Worte Mutter und
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