Tanz, Pueppchen, Tanz
»Ich dachte, es wäre niemand da. Ich komme später zurück, um Ihr Bett zu machen.«
»Nein, kein Problem. Sie können es jetzt machen.«
Amanda tritt zur Seite und lässt die Frau herein. »Ich gehe sowieso gleich.« Ach ja? Wohin geht sie denn?
Die Frau schiebt ihren Wagen in die offene Tür. Sie ist Mitte bis Ende dreißig, klein und rund, und ihre Haut schimmert unter ihrer hellblauen Baumwolluniform wie glänzende schwarze Seide. »Haben Sie gut geschlafen?«, fragt sie und hebt die Fernbedienung vom Fußboden auf.
»Sehr gut, danke. Keine Träume.« Keine Ex-Ehemänner, die sie durch schneebedeckte Straßen verfolgten, keine Mütter, die ihr in pompösen Hotelhallen mit einer Waffe auflauerten.
»Sammeln Sie die?« Das Zimmermädchen hält die zwischen den Laken zerknüllten Zeitungsausschnitte hoch.
»Nein, die können Sie wegschmeißen.« Wozu sollte sie sie aufbewahren? Sie hat sie so oft gelesen, dass sie sie praktisch auswendig kann.
»Üble Geschichte.« Das Zimmermädchen wirft die Zeitungsausschnitte kopfschüttelnd in einen Plastikmüllsack.
»Waren Sie hier, als es passiert ist?« Wieder versucht Amanda, beiläufig zu klingen, so als wollte sie sich bloß höflich unterhalten.
»Nein. Ich war an dem Tag schon fertig. Aber eine meiner Freundinnen kam gerade zur Arbeit und hat alles mitgekriegt.«
»Wirklich? Was hat sie denn gesehen?«
Das Zimmermädchen beugt sich vor und flüstert verschwörerisch: »Sie hat gesehen, wie diese ältere, gut gekleidete Frau durch die Lobby gegangen ist und den armen Mr. Mallins erschossen hat.«
»Der arme Mr. Mallins«, wiederholt Amanda. »Sie klingen, als hätten Sie ihn gekannt.«
»Ich habe ein paar Mal seine Suite sauber gemacht.«
»Er hat in einer Suite gewohnt?«
»Ich glaube, er war ziemlich reich. Immer echt schick angezogen. Ich hab gehört, dass er einen Zweitausend-Dollar-Anzug getragen hat, als er erschossen wurde.«
Amanda verarbeitet diese neuesten Informationen. Soweit sie weiß, sind die einzigen Männer, die Zweitausend-Dollar-Anzüge tragen, Gangster. Ist es denkbar, dass ihre Mutter irgendeine Beziehung zum organisierten Verbrechen hat?
»Außerdem war er mit seiner Frau und seinen Kindern hier«, plappert das Zimmermädchen weiter, ohne Amandas Gedankenversunkenheit zu bemerken. »Sie brauchten zwei Zimmer.«
»Ja, ich habe gehört, dass sie immer noch hier im Hotel wohnen.«
»Wahrscheinlich müssen sie die Obduktion abwarten, um die Leiche mit zurück nach England zu nehmen. So nette Leute. Und die Kinder sind so wohl erzogen.«
»Wie ist Mrs. Mallins?«
»Still. Sie sagt nicht viel. Nur wirklich höflich.« Das Zimmermädchen rollt die Laken zu einem großen Bündel zusammen und sieht Amanda zerknirscht an. »Das Management sagt, wir sollten nicht darüber sprechen, was geschehen ist, aber das ist echt schwer. Jeder will darüber reden.«
»Natürlich.«
»Schon komisch. Die Leute haben immer Angst vor jungen schwarzen Männern, dabei sind es in Wahrheit alte weiße Frauen, vor denen sie sich in Acht nehmen müssen.«
Sie lacht.
Amanda versucht in ihr Lachen einzustimmen, doch es bleibt ihr im Hals stecken. »Ich sollte jetzt besser los und Sie Ihre Arbeit machen lassen.« Sie holt ihre Handtasche und ihren Mantel aus dem Kleiderschrank und hängt sich beides über den Arm.
»Einen schönen Tag noch«, ruft das Zimmermädchen ihr nach.
Der Fahrstuhl ist leer, als Amanda ihn betritt, hält jedoch im 14. Stock erneut, wo ein Mann mittleren Alters mit einem schweren Koffer zusteigt. Im 10. Stock steigen noch eine Frau und zwei kleine Kinder ein.
»Mommy«, jammert das kleine Mädchen, als die Fahrstuhltür zugeht. »Tyler tritt mir auf die Füße.«
»Mach ich nicht«, erwidert ihr Bruder mit dem flachsfarbenen Haar und drängelt sich absichtlich gegen seine Schwester.
»Er schubst mich.«
»Gar nicht.«
»Tyler, das reicht.«
»Ich mach doch gar nichts.«
»Na, hör trotzdem damit auf.« Seine verzweifelte Mutter wirft Amanda ein mattes Lächeln zu.
Attraktive Frau, denkt die, obwohl sie schon jetzt erschöpft aussieht, dabei hat der Tag kaum begonnen. Amanda erwidert das Lächeln und gratuliert sich still zu der Entscheidung, sich nicht fortzupflanzen.
»Wo ist Daddy?«, will das kleine Mädchen wissen und zupft am Rock ihrer Mutter. »Ich will Daddy.«
Mit einem Schlag wird Amanda bewusst, dass sie mit Mrs. Mallins und ihren beiden Kindern im Fahrstuhl steht. Eine Million Fragen schießen ihr
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