Tanz, Pueppchen, Tanz
Schlafzimmer ihrer Mutter betritt. Bald ist es dunkel, denkt sie, schaltet das Deckenlicht ein und wirft einen Blick auf das große Einzelbett ihrer Mutter. Die mit Blumen gemusterte Tagesdecke, an die Amanda sich aus ihrer Kindheit erinnert, ist durch einen schlichten weißen Überwurf ersetzt worden, ähnlich dem, den sie in ihrer Wohnung hat, wie Amanda mit einem Schauder feststellt. Doch ansonsten ist das Zimmer im Grunde so, wie es immer war: die allgegenwärtigen rosafarbenen Wände und die graue Auslegeware, diverser Kristallnippes, der in den Nischen zu beiden Seiten des Betts ausgestellt ist. Auf der Kommode unter dem großen, zur Seite hinausgehenden Fenster stehen mehrere Fotos von Amandas Vater, dessen gezwungenes Lächeln so gar nicht zu seinem sorgenvollen Blick passen will. Amanda nimmt eines der Bilder zur Hand und streicht zärtlich über das attraktive Gesicht ihres Vaters, bevor sie es zwischen zwei Babyfotos von sich selbst auf die Kommode zurückstellt. Auf dem Nachttisch neben dem Bett ihrer Mutter sieht sie die anderen Fotos, die Corinne Nash erwähnt hat: ihre Abschlussfeier auf der High School und ein wunderbares, unbemerkt aufgenommenes Porträt von ihr, wie sie aus dem Wohnzimmerfenster starrt. Wann ist das gemacht worden, fragt sie sich und beugt sich über das Foto.
»Was machst du hier?«, fragt ihr Vater plötzlich. »Du weißt, dass du nicht hier drinnen sein solltest.«
»Tut mir Leid, Daddy«, entschuldigt Amanda sich bei seinem Foto. »Ich versuche, mich zu beeilen.«
Hastig geht sie die Schubladen der Kommode durch, betastet eine Sammlung von BHs und Miedern, Nachthemden und Pyjamas. »Okay, nicht da reingehen«, warnt sie das kleine Mädchen, das vor dem Kleiderschrank steht. »Du weißt doch, was beim letzten Mal passiert ist, als du diese Tür aufgemacht hast.« Sie will das Mädchen aufhalten, doch es hat bereits die Tür aufgezogen. Mit offenem Mund starrt Amanda auf den Schuhkarton, der auf dem obersten Regal im Kleiderschrank ihrer Mutter steht, Sie fragt sich, ob sie Ben rufen soll. Sei nicht albern, ermahnt sie sich. Da drin ist keine Pistole. »Die hat sie ja schon benutzt«, sagt Amanda laut und hätte beinahe gelacht.
Amanda lehnt sich an die Kleider ihrer Mutter – ein blaues Wollkleid, maßgeschneiderte Hosen in Blau, Schwarz und Braun, ein paar pastellfarbene Seidenblusen, mehrere knielange ausgestellte Röcke, eine braune Cordjacke – und stellt sich auf die Zehenspitzen, um den Karton zu erreichen. Als sie ihn schließlich an die Brust drückt, fühlt er sich leer an. Trotzdem zögert sie, ihn zu öffnen.
»Du bist wirklich albern«, schimpft sie mit sich, reißt den Deckel herunter, wirft ihn auf den Boden und blickt in den Karton.
Er enthält nichts außer einem alten Sparbuch der Toronto Dominion Bank mit dem wenig imposanten Saldo von 7,75 $. Offensichtlich kein Geldinstitut, das meine Mutter regelmäßig besucht, denkt Amanda, als sie hört, wie etwas aus dem Karton auf den Boden fällt. Sie sucht den Teppich ab, bis sie schließlich einen kleinen Schlüssel entdeckt.
»Sieht aus wie ein Schließfachschlüssel«, stellt sie fest, als sie Bens Schritte auf der Treppe hört. Ohne weiter nachzudenken, steckt sie Schlüssel und Sparbuch ein.
»Hast du was gefunden?«, fragt Ben, als er ins Zimmer kommt.
Amanda präsentiert ihm wortlos den leeren Schuhkarton.
»Unten ist auch nichts.«
Amanda nickt. »Nun denn, man kann jedenfalls nicht behaupten, wir hätten es nicht versucht.«
Sie starren sich durch die zunehmende Dunkelheit an, während ihre Worte von den Wänden prallen und in der Stille des späten Nachmittags widerhallen.
14
»Nimm ein heißes Bad, bestell dir beim Zimmerservice was zu essen, und schlaf dich ordentlich aus«, weist Ben sie an, als sie in die Einfahrt des Four Seasons Hotels biegen. »Ich ruf dich morgen früh an.«
Amanda zwingt sich zu einem Lächeln. Sie wollte gerade vorschlagen, dass sie irgendwo nett essen gehen. Das geht auf mich, wollte sie gerade sagen, als er ihr zuvorgekommen ist. Also schenkt sie ihm ein wissendes Lächeln und sagt:
»Schöne Grüße an Jennifer«, bevor sie aus dem Wagen steigt und durch die Drehtür in die Lobby drängt, ohne sich umzusehen. Als sie direkt jenseits der Drehtür unter dem Vorwand, ihren Zimmerschlüssel zu suchen, stehen bleibt und durch die Glastür späht, ist die weiße Corvette schon verschwunden.
»Ein heißes Bad, Zimmerservice und gründlich ausschlafen«, wiederholt sie
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