Tanz, Pueppchen, Tanz
verlässt das Zimmer.
Amanda rührt sich nicht.
»Was hatte denn das zu bedeuten?«, fragt Jerrod Sugar, als die Tür lautstark zufällt.
Amanda bleibt mehrere Sekunden lang vollkommen reglos stehen, bevor sie wieder ins Bett steigt, das Echo der zuknallenden Tür wie ein Peitschenhieb im Ohr. »Nichts«, sagt sie, zieht sich schützend die Decke über die Ohren und schließt die Augen.
17
Das Gerichtsgebäude von Toronto – allgemein das New Courthouse genannt, obwohl es mehr als dreißig Jahre alt ist – liegt an der Ecke University Avenue und Armoury Road. Es heißt New Courthouse, um es von dem alten Gerichtsgebäude zu unterscheiden, das im alten Rathaus an der Ecke Bay und Queen Street untergebracht ist. Das neue Rathaus, dessen Bau 1965 vollendet wurde, befindet sich direkt gegenüber und besteht aus zwei einander zugewandten, halbmondförmigen, grauen Granittürmen. Vor dieser New City Hall thront eine große und vormals kontroverse Skulptur von Henry Moore, die ein bisschen so aussieht wie ein kopfloses Huhn aus Bronze; des weiteren gibt es eine große öffentliche Eisbahn, auf der die Leute schon morgens um elf ihre Pirouetten drehen.
All das fällt Amanda wieder ein, als der Taxifahrer sie zur falschen Adresse bringt.
»Sie sagten New City Hall«, beharrt der Fahrer mit schwerem Akzent.
»Ich habe gesagt, zum New Courthouse.«
»Courthouse ist Old City Hall.«
»Das ist das alte Gerichtsgebäude. Ich will zum New Courthouse.«
»New Courthouse nicht hier«, erwidert der Mann, wendet alle Verkehrsregeln missachtend mitten auf der Straße und fährt zurück in die Richtung, aus der sie gekommen sind.
Es ist meine Schuld, denkt Amanda, lehnt ihre nach wie vor pochende Schläfe an das schmutzige Seitenfenster des Taxis und sieht die öde Parade der Innenstadtgebäude an sich vorbeiziehen und mit dem blassgrauen Himmel verschwimmen. Ich hätte besser aufpassen müssen.
In vielerlei Hinsicht, erkennt sie, als sie reuevoll an das Desaster der vergangenen Nacht zurückdenkt. »Wie konnte das passieren?«
»Irgendwas nicht okay, Miss?«, fragt der Taxifahrer nervös. Im Rückspiegel sieht sie, dass er seine dunklen, feuchten Augen zusammengekniffen hat, als befürchte er, dass sie sich ein weiteres Mal umentscheiden könnte.
Nun, lassen Sie mich überlegen, denkt Amanda. Meine Mutter sitzt im Gefängnis. Ich habe einen grauenhaften Kater. Ich habe mit einem praktisch Fremden geschlafen. Und mein Ex-Mann hält mich für ein Flittchen. Das heißt, mein alter Ex-Mann, denkt sie und muss ein Lachen unterdrücken. Im Gegensatz zu meinem neuen Ex-Mann. Und außerdem, wen kümmert’s, was er denkt? »Nein«, versichert sie dem Taxifahrer. »Alles okay.«
Sie strafft die Schultern und richtet sich unter dem vernehmlichen Protest des grünen Plastiksitzes gerade auf. Welches Recht hat Ben überhaupt, sich zum Richter aufzuspielen? Hat sie im Moment nicht schon genug um die Ohren? Okay, sie war betrunken. Das ist ihr gutes Recht. Genauso, wie es ihr gutes Recht ist zu schlafen, mit wem es ihr beliebt. Selbst wenn sie es eigentlich gar nicht will.
Und warum musstest du verdammt noch mal überhaupt mitten in der Nacht auftauchen, Ben Myers, wie ein weißer Ritter auf seinem alten Ross? Wer hat gesagt, dass ich gerettet werden will? »Sehe ich aus, als ob man mich retten müsste?«, fragt sie laut und erschreckt damit den Taxifahrer, der einen scharfen Linksschwenk macht, der sie aus dem Gleichgewicht bringt.
»New Courthouse«, verkündet er und hält vor einem ansehnlichen grauen Steingebäude.
Nachdem Amanda ihre Balance wiedergefunden und bezahlt hat, steigt sie aus. »Was mache ich hier?«, sagt sie laut, doch ihr hochgeschlagener Mantelkragen verschluckt die Worte. Sie fragt sich, wie Ben reagieren wird, wenn er sie sieht. Hoffentlich besser als letzte Nacht. Sie atmet einen letzten Zug der eiskalten Luft ein, bevor sie das Gebäude betritt und von einem Zettel aus ihrer Handtasche die Nummer des Gerichtssaals abliest. »Sitzungssaal 204«, flüstert sie, passiert die Metalldetektoren, tritt auf eine Rolltreppe direkt hinter dem Eingang und schwebt langsam aus dem Erdgeschoss.
Oben angekommen kreuzt sie den Weg einer attraktiven Blondine mit eisigem Charme und einer wehenden Robe, wie sie kanadische Anwälte vor Gericht tragen. Jennifer, fragt sie sich, während sie den wohlgeformten Waden der Frau nachsieht, die selbstsicher den Gerichtssaal 201 ansteuert. Bist du das? Und warum warst du gestern
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