Tanz, Pueppchen, Tanz
Abend nicht bei Ben?
Dann hätte ich jetzt wenigstens kein so verdammt schlechtes Gewissen wegen Jerrod Sugar. Obwohl es mir ein Rätsel ist, warum ich seinetwegen ein schlechtes Gewissen habe. Ich kann schlafen, mit wem ich will. Man kann mir schließlich kaum Betrug an einem Mann vorwerfen, der seit acht Jahren nicht mehr mit mir verheiratet ist.
Gut. Also gut, hört sie Ben sagen, bevor er die Tür hinter sich zuknallt.
Amanda bemerkt einen Mann mittleren Alters, der hilflos und untröstlich auf einer Bank vor einem der Gerichtssäle sitzt, und muss unwillkürlich an das unglückliche Gesicht denken, das Jerrod Sugar gemacht hat, als er Ben am Fußende des Bettes stehen sah. Sie konnte noch das Pochen seines rasenden Herzen spüren, als sie nach Bens überstürztem Abschied die Hand auf seine Brust gelegt hatte. Wenige Minuten später war er trotzdem gegangen, weil er, wie er sagte, zu aufgewühlt war, um wieder einzuschlafen, und auch die Aussicht auf eine weitere Runde Sex war nicht verlockend genug, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Es täte ihm Leid, erklärte er ihr, als er hastig in seine Kleider schlüpfte, er hätte eine wirklich volle Woche vor sich, würde aber versuchen, sie vor seiner Abreise noch anzurufen, vielleicht könnten sie sich ja irgendwann mal in Florida treffen, auf Wiedersehen, es war toll, danke, dass du an mich gedacht hast.
War mir ein Vergnügen, denkt Amanda, schüttelt stapfend unsichtbare Schneeflocken von ihren Stiefeln und marschiert den langen Flur hinunter. Nur, dass es das nicht gewesen war. Eigentlich nicht. Amanda versucht sich zu erinnern, wann sie Sex zum letzten Mal wirklich genossen hat, als ihr Bens Bild wieder vor Augen tritt. »Oh nein. Da entlang geht’s ganz bestimmt nicht«, ermahnt sie sich streng, öffnet eine Tür und betritt den Gerichtssaal 204.
Es ist ein moderner Raum, aber nicht extravagant. An der Stirnseite sitzt ein Richter in Robe, umringt von mehreren Gerichtsangestellten, die das Verfahren allesamt eher gelangweilt verfolgen. Im Zeugenstand steht ein Polizist, der auf die leere Geschworenenbank gegenüber blickt. Auf den Holzbänken hinter den Tischen von Staatsanwalt und Verteidiger sitzen die Zuschauer. Die Staatsanwältin, eine pummelige junge Frau mit einem bleichen, von einem Gestrüpp widerspenstiger Haare gerahmten Gesicht blättert demonstrativ durch einen Stapel Papiere. Sie trägt ihre verkniffene Miene beinahe stolz, wie eine Diamantenkette, die sie nicht ablegen will. Amanda schüttelt wissend den Kopf und setzt sich neben eine Frau mittleren Alters, die die Perlen eines Rosenkranzes durch ihre zitternden Finger gleiten lässt. Amanda reckt den Kopf, um über die vor ihr sitzenden Zuschauer hinwegzublicken, und sieht Ben, der einem hübschen jungen Mädchen, das neben ihm auf der Verteidigerbank sitzt, etwas ins Ohr flüstert. Er tätschelt die Hand der Kleinen, bevor er sich beiläufig umsieht und sein Blick an Amanda hängen bleibt.
Was machst du hier, fragen seine Augen.
Ich muss dir etwas sagen, antwortet Amanda stumm, doch Ben hat sich schon wieder nach vorne gedreht, wo sich die Staatsanwältin erhoben hat.
Ihre Stimme ist nasal und unangenehm, und jedes Mal wenn sie zu der hübschen jungen Angeklagten blickt, kneift sie in fast unverhohlener Wut die Augen zusammen, als wollte sie statt ihrer hochgestochenen juristischen Phrasen eigentlich sagen: Dir werd ich’s zeigen. Dir mit deinem langen glänzenden Haar und dem teuren kleinen Kleid an deinem perfekten kleinen Körper. Dir verzogenen Wohlstandsgöre, die denkt, das Leben wäre ein einziges großes Zuckerschlecken ohne Konsequenzen. Nun, ich werde deine kleine Seifenblase ein für alle Mal zum Platzen bringen. Ich werde dir zeigen, wie das Leben wirklich läuft.
Amanda versucht, sich auf die Ausführungen der Staatsanwältin zu konzentrieren, gibt jedoch nach zehn Minuten pompösen Geschwafels auf und wird nur einmal kurz aus ihrem Tran gerissen, als Ben Einspruch erhebt. In seiner Anwaltsrobe sieht er beinahe genauso gut aus wie in seinem irischen Strickpullover, denkt sie, während der Richter seinem Einspruch stattgibt. Was hätte zwischen ihnen passieren können, wenn gestern Nacht nicht Jerrod Sugar in ihrem Bett gelegen hätte?
Was hätte sie denn gewollt?
Nichts.
Hatte ich. War ich schon. Weißt du nicht mehr?
Amanda beruhigt sich damit, dass sie sich nur so verwundbar fühlt, weil sie nach langer Abwesenheit zum ersten Mal in ihre Heimatstadt zurückgekehrt ist.
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