Tanz um Mitternacht
vier Jahren an einer Lungenentzündung starb. Wenig später kehrte er nach London zurück, um seinen Titel und sein Erbe zu beanspruchen.«
Rand hielt die Papiere hoch, die er soeben studiert hatte, den neuesten Bericht des Polizisten aus der Bow Street. »Ein Erbe, das sich laut McConnell in beklagenswertem Zustand befand.«
Sorgfältig löste der Anwalt die Metallbügel seiner Brille von den viel zu großen Ohren. »Victor war ein leidenschaftlicher Spieler. Als Phillip sein Erbe antrat, war nicht mehr viel Geld übrig. Um die Schulden zu begleichen, musste er den Familiensitz in Kent verkaufen.«
Rand blieb stehen und wandte sich zu ihm. »Und wie sieht seine gegenwärtige finanzielle Lage aus?«
»Nicht besonders gut. Er hat ein bisschen Geld auf der Bank, dank diverser Investments im Lauf der Jahre. Und die Kontakte zu Merriweather Shipping haben ihm beträchtliche Summen eingebracht. Aber dieser Profit ist irgendwie verschwunden, was vielleicht mit seinem aufwändigen Lebensstil zusammenhängt.«
»Deshalb braucht er Geld. Gibt es eine bessere Methode, als die Mitglieder der Oberschicht zu schröpfen und ihnen Spenden für ein edles Projekt >im Dienst der Wissenschaft zu entlocken?«
»Möglicherweise trifft Ihre Vermutung zu, Euer Gnaden.«
»Und wenn Donovan Harmon und Phillip Rutherford das Geld einfach einstecken und die Flucht ergreifen? Vielleicht hat der gute Professor gar nicht die Absicht, auf die Insel Santo Amaro zurückzukehren - falls er jemals dort war.«
»O doch, zusammen mit seiner Tochter. Unser McConnell hat mit einem Forscher namens Sir Monty Walpole gesprochen. Kennen Sie den Bericht über seine Entdeckungen in Pompeji? Da hat er mit dem Professor zusammengearbeitet.«
Schwerfällig sank Rand in einen Sessel. »Ja, ich weiß, wer das ist.«
»Nach der Überzeugung dieses Gelehrten hat Harmon reelle Chancen, Kleopatras Halskette aufzuspüren. Wahrscheinlich wird Sir Monty sogar an der Expedition teilnehmen. Tut mir Leid, Euer Gnaden, allem Anschein nach sind die Aktivitäten des Professors und des Barons legitim.«
Erbost starrte Rand vor sich hin. Talmadge war ein Dieb und Betrüger - das verrieten ihm seine Instinkte, die ihn noch nie getrogen hatten. Aber zu seinem tiefsten Bedauern gab es keine Beweise. »Trotzdem haben wir’s mit einem gigantischen Schwindel zu tun. Das weiß ich. Ich muss nur noch herausfinden, wie die beiden Schurken zu Werke gehen.« Bald würde er die ganze Wahrheit erfahren, daran zweifelte er nicht. Auf keinen Fall würde er tatenlos Zusehen, wie sich Rutherford und Harmon mittels niederträchtiger Machenschaften bereicherten und der Tod des jungen Jonathan ungerächt blieb. Talmadge war ein gemeiner Betrüger, und das würde Rand beweisen.
Nachdem er sich von Ephram verabschiedet hatte, verließ er das Büro. Seine Gedanken schweiften von Rutherford und Harmon zu Cait. Wenn sie auch zu klug und offenherzig wirkte, um sich an einem solchen Verbrechen zu beteiligen - ihr Vater war ganz sicher darin verwickelt. Und für ihn würde sie alles tun.
Nick glaubte an ihre Unschuld. Aber Rand hegte gewisse Zweifel. Ein junges Mädchen, das über jeden Verdacht erhaben war, würde nicht ohne die Begleitung einer Anstandsdame mit einem Gentleman picknicken. Und Cait hatte seine Einladung bereitwillig angenommen - und sogar die nötigen Arrangements getroffen, um Diskretion zu üben.
Sekundenlang hatte er tatsächlich gehofft, sie würde seinen unschicklichen Vorschlag ablehnen. Er wollte sie so sehen wie in seinen Wunschträumen - intelligent und charmant, kein bisschen hinterhältig. Andererseits - warum hatte sie sich bereit erklärt, mit ihm aufs Land zu fahren? Weil sie ihm eine Spende für die Expedition abschwatzen wollte?
Hoffentlich nicht. Er stellte sich lieber vor, sie würde ihn genauso begehren wie er sie - oder zumindest einen kleinen Teil jener rastlosen Leidenschaft empfinden, die ihn seit Tagen quälte.
Morgen würde er wissen, was in ihr vorging. Morgen. Bei diesem Gedanken wurde seine Skepsis von heißer Vorfreude verdrängt.
5
Cait verknotete die Bänder ihres breitrandigen Huts unter dem Kinn, winkte Maggie zum Abschied zu und trat auf die Veranda des Trent-Hauses. Von Schuldgefühlen geplagt, spürte sie, wie sich ihre Herzschläge beschleunigten. Sie hasste es, ihre Freundin zu belügen. Aber es gab keine andere Möglichkeit.
Seufzend stieg sie in die Kutsche, die der Marquess ihr zur Verfügung stellte, und ließ sich zum Museum
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