Tanz um Mitternacht
fahren. Wenigstens hatten sich die Trents inzwischen damit abgefunden, dass sie ohne Anstandsdame »durch die Straßen zog«, wie sie es nannten. Eine Anstandsdame! Auf so einen Unsinn konnte sie nun wirklich verzichten, nachdem sie seit Jahren ein unabhängiges Leben führte und, von ihrem Vater abgesehen, auf niemanden Rücksicht nehmen musste.
Sie blickte aus dem Wagenfenster auf die belebten Londoner Straßen. An diesem warmen Frühlingsmorgen leuchtete der Himmel azurblau. Doch das schöne Wetter konnte ihre Nerven nicht beruhigen. Hätte sie doch Rands Einladung abgelehnt... Das wäre korrekt gewesen, und er hätte es akzeptieren müssen. Aber er forderte sie ganz bewusst dazu heraus, das Diktat der vornehmen Gesellschaft zu missachten - weil er merkte, wie lächerlich sie solche Regeln fand. Und deshalb hatte sie sich ja auch zu diesem ungehörigen Picknick überreden lassen.
Vor dem Museum angekommen, schickte sie die Kutsche nach Hause und wartete auf den Duke. Eine frische Brise zerrte am Rock ihres minzegrünen Kleids, und sie rückte ihren Hut zurecht. Hoffentlich würde das Arrangement aus Blumen und Blättern auf der Krempe richtig sitzen. Darunter wallten ihre rotgoldenen, altmodisch langen Locken lose auf den Rücken, an den Schläfen von Elfenbeinkämmen festgehalten, die sie in Dakar einem farbigen Straßenhändler abgekauft hatte. Ihre innere Unruhe wuchs. Beklommen wanderte sie auf dem Marmorboden der Säulenhalle vor dem Museumsgebäude umher. Ich dürfte nicht hier sein, dachte sie, wie schon so oft an diesem Morgen. Hätte ich bloß nein gesagt... Nur dieses eine Mal hätte ich mich so verhalten müssen, wie es einer jungen Dame geziemt... Doch dann schaute sie zur Straße hinab und sah den Duke auf sich zukommen - hoch gewachsen und imposant und viel zu attraktiv. Da wusste sie, warum es unmöglich gewesen war, auf dieses Treffen zu verzichten.
»Eigentlich dachte ich, inzwischen hätten Sie Vernunft angenommen«, bemerkte er und kam der Wahrheit näher, als er ahnte.
»Vor ein paar Minuten war’s fast so weit«, gestand sie lächelnd. »Und jetzt ist’s wohl zu spät dafür.«
»Viel zu spät, Miss Harmon«, bestätigte er amüsiert. »Aber keine Bange - am Ende dieses Tages werden Sie’s nicht bereuen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Das verspreche ich Ihnen.«
Ihre Reue war schon jetzt verflogen. Glücklich erwiderte sie seinen bewundernden Blick, als er ihre behandschuhte Hand in seine Armbeuge legte und sie die Stufen hinabführte. Sein Wagen stand weiter unten an der Straße - ein schnittiger schwarzer Phaeton mit hohem Sitz und gemalten goldenen Ornamenten an den Seiten, von zwei herrlichen rotbraunen Pferden gezogen, die perfekt zueinander passten.
Was für ein schönes Gespann, dachte Cait. Und kein Fahrer, kein Lakai... Also bin ich tatsächlich ganz allein mit ihm... Jetzt begannen ihre Nerven wieder zu flattern, und ihre Hände zitterten. Sie überlegte, unter welchem Vorwand sie den Rückzug antreten sollte.
Aber da hob er sie bereits auf den roten Ledersitz, eilte zur anderen Seite und stieg neben ihr hinauf. Geschickt schlang er die Zügel um seine Finger, die in Lederhandschuhen steckten - so lässig, als hätte er den Zweispänner schon tausendmal gesteuert. »Sind Sie bereit?«
Sie schluckte mühsam, und es gelang ihr irgendwie zu nicken. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Dazu hätte sie sich früher entschließen müssen.
»Gut, dann fahren wir los.« Er rüttelte an den Zügeln, und die Pferde setzten sich in Bewegung. Mit spielerischer Leichtigkeit lenkte er den Zweispänner in den dichten Straßenverkehr, wich Frachtwagen und Mietkutschen, Obstverkäufern und Kohlenhändlern aus. Bald erreichten sie den Stadtrand und folgten Landstraßen, die zwischen Wiesen und Feldern dahinführten.
In einem malerischen, von einer Steinmauer umgebenen Dorf winkten sie Schulkindern zu und wurden von einem kläffenden Hund verfolgt. Ein Heuwagen kam ihnen entgegen. Wenig später rasten sie hinter einer Postkutsche her und überholten sie. Vergnügt beugten sich die Fahrgäste aus den Fenstern, und der Duke nickte ihnen zu.
Cait genoss die Fahrt in vollen Zügen. Entzückt betrachtete sie die schöne Landschaft, atmete die frische, saubere Luft ein und bewunderte Rand, der seinen Phaeton so geschickt steuerte. Da ihm ihre Gesellschaft sichtlich Freude bereitete, verdrängte sie den letzten Rest ihrer Bedenken. Sie unterhielten sich über belanglose Dinge - das Wetter,
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