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Tanz um Mitternacht

Titel: Tanz um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Martin
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in aller Öffentlichkeit zu weinen. Als er ein paarmal blinzelte, entging er dieser Gefahr.
    Wie gelähmt stand Cait an seiner Seite und starrte mit trockenen Augen auf das feuchte Erdreich des frisch ausgehobenen Grabes. Tagelang hatte sie geweint. Jetzt waren die Tränen versiegt. Der Wind zerrte an ihrem schwarzen Hut und presste den Rock des Trauerkleids mit der hohen Taille an ihre Beine. Nichts davon schien sie wahrzunehmen, weder den Wind noch die Kälte.
    Rand spürte die Last ihres Kummers, der ihre Seele zu betäuben schien, der seinen eigenen noch schürte, bis er das Leid kaum noch ertrug. Nicht nur seinen Sohn beklagte er, sondern auch Caits Qual. Für jede ihrer Tränen hatte er in Gedanken hundert vergossen, und er versank in einer Verzweiflung, die einem unentrinnbaren Abgrund glich.
    Dass sie sich für den Tod des Babys verantwortlich fühlte, wusste er. »Sicher lag es an meinem Sturz auf der Insel«, hatte sie erklärt. »Hätte ich bloß keine Trauben gepflückt...«
    »Nein, du bist nicht schuld daran«, widersprach er sanft, obwohl er manchmal wünschte, er könnte sie anklagen und müsste seinen unvernünftigen Zorn nicht nur gegen den Himmel richten. »So etwas geschieht ganz einfach - es gehört zum Leben.«
    »Vielleicht bestraft uns der Allmächtige für unsere Sünde. Wie Adam und Eva.«
    Das versuchte er ihr auszureden. Aber sie hatte nicht auf ihn gehört.
    Der Vikar beendete die Zeremonie, und die kleine Schar der Trauergäste stieg den Hang hinab - Nicholas und Elizabeth, Maggie und Andrew, ein paar befreundete Nachbarn. Während Cait neben Rand zum Haus ging, berührte sie seine Hand kein einziges Mal.
    Von diesem Tag an beobachtete er enttäuscht und wütend, wie sie sich von ihm zurückzog. Weil er nichts dagegen tun konnte, fühlte er sich elend und hilflos. Ihre Trauer, die er nicht zu lindern vermochte, drohte ihn allmählich umzubringen.
    Das Weihnachtsfest kam und ging. Auf Beldon Hall wurde nicht gefeiert. Im Kamin brannte kein Weihnachtsscheit, und es wurden auch keine Geschenke verteilt. Diese
    Rituale hätte Cait nicht zugelassen, und Rand brachte es nicht übers Herz, ihre Wünsche zu missachten - schon gar nicht, wenn er die Tränen in ihren großen grünen Augen schimmern sah.
    Langsam schleppte sich die Zeit dahin. Die Entfremdung zwischen ihnen wuchs. Schließlich ertrug er das Grauen nicht mehr. Es vernichtete seine Seele, erschien ihm schlimmer als alle Feinde, die ihm jemals gegenübergestanden hatten, schwächte und verwirrte ihn. Niemals hätte er gedacht, dass ihn eines Tages all seine Kräfte verlassen würden. Ich bin nicht mehr der Mann, der ich einmal war, dachte er. Dafür hasste er sich selbst.
    Wann immer er Caits leidvolles, verhärmtes Gesicht betrachtete, spürte er diese überwältigende Ohnmacht und versank noch tiefer in seinem Kummer. Würde er sich zu dem Weichling entwickeln, für den ihn sein Vater gehalten hatte? Dieser Gedanke erfüllte ihn mit kaltem Entsetzen.
    Irgendetwas musste er unternehmen, um sich zu retten. Sonst würde er sein Ich vollends verlieren, nie mehr der starke, tüchtige Mann von früher sein - der Mann, der er wieder werden wollte.
    Es gab nur einen einzigen Weg, dieses Ziel zu erreichen -er musste Caitlin und Beldon Hall verlassen. Deshalb würde er nach London fahren, seine Gefühle unter Kontrolle bringen, und er wusste auch, auf welche Weise. Er musste einfach in jene Zeit zurückkehren, wo er außer einer heftigen Begierde nur Freundschaft für Cait empfunden hatte. In Zukunft würde ihm das genügen. Und ihr auch. Immerhin war es mehr, als die meisten Eheleute einander schenkten.
    Einen Monat nach Rands Abreise stieg Cait aus der schwarzen Hölle ihrer Trauer empor. An diesem Tag gegen Ende Februar war die Luft noch eiskalt. Aber der Himmel leuchtete in kristallklarem Blau, von keiner einzigen Wolke getrübt. Vielleicht durchbrach das Licht der Sonne oder die Wärme ihrer ersten Strahlen den Panzer, der Caits Herz umschloss. Wie auch immer, das Eis in ihrem Innern begann zu schmelzen.
    Der Verlust ihres Sohnes blieb eine schmerzhafte Wunde. Doch der schöne Vorfrühlingstag verhalf ihr zu der Erkenntnis, dass sie noch etwas anderes, ebenso Kostbares verloren hatte. Jetzt lebte Rand in London. Ohne ihn war ihre Welt öde und leer.
    Wahrscheinlich ist es meine Schuld, dachte sie, während sie durch den Garten wanderte und die Hecke in Leopardenform bewunderte, die nach Rands Entwurf zurechtgestutzt worden war. Unter dem

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