Tanz um Mitternacht
Tod des Babys musste er ebenso gelitten haben wie sie. Trotzdem war er ein Fels in der Brandung gewesen. Das wurde ihr erst jetzt bewusst.
Aber er hätte sie nicht verlassen dürfen, in dieser schweren Zeit, wo sie ihn so dringend brauchte. Gelegentlich schrieb er ihr, höflich und unpersönlich. Aus den wenigen Zeilen sprach nichts von jener Herzenswärme, an die sie sich so gut erinnerte. Und doch, er war ihr Mann, und sie vermisste ihn. Wenn er sie auch nicht liebte, sie liebte ihn. Wie sehr, erkannte sie erst in diesen Tagen ihrer Einsamkeit. Nun musste sie ihre Verzweiflung endlich abschütteln und ihr Leben wieder in Ordnung bringen.
Dieses Ziel vor Augen schickte sie einen Brief nach Woodland Hills, Maggies und Andrews Landgut in Sussex, und fragte, ob sie auf ihrer Fahrt in die Stadt bei ihnen Station machen dürfe. Wie sie der Antwort entnahm, würden Elizabeth und Lord Ravenworth um die gleiche Zeit zu Besuch kommen.
Endlich werden wir wieder alle beisammen sein, und wir freuen uns ganz besonders, dich und Rand wieder zu sehen.
Also glaubten sie, Rand wäre immer noch auf Beldon Hall, obwohl er schon seit Wochen in London lebte. Das überraschte Cait. Besorgt überlegte sie, warum er sich seinen Freunden nicht anvertraut hatte. Sie liebte ihn, er fehlte ihr, und sie wollte mit ihm zusammen sein. Als sie den Brief beantwortete, erwähnte sie nicht, dass sie allein nach Woodland Hills fahren würde. Sie brauchte dringend Maggies freundschaftlichen Rat. Irgendwie musste sie die Kluft überbrücken, die zwischen Rand und ihr bestand.
Auf Woodland würde sie auch Nick Warring treffen, der ihren Mann am besten kannte. Vielleicht konnte er ihr helfen.
Es war höchste Zeit, Zukunftspläne zu schmieden. Nachdem sie ihre tiefe Trauer um den kleinen Jonathan überwunden hatte, dachte sie nur noch an Rand. An jedes Lächeln erinnerte sie sich, jede zärtliche Berührung, die Leidenschaft, nach der sie sich so brennend sehnte.
Wenn er sie auch nicht liebte - er war ihr Ehemann. Viele gemeinsame Jahre lagen noch vor ihnen. Wie der Doktor ihr erklärt hatte, konnte sie trotz der Frühgeburt ein gesundes Kind zur Welt bringen. Ihr Söhnchen habe einfach nicht richtig »Wurzeln geschlagen«. Sobald Rand zu ihr zurückkam, würden sie ihr Glück versuchen. Diesmal mit Erfolg, gelobte sie sich - fest entschlossen, zusammen mit Rand eine lebenswerte Zukunft aufzubauen.
Nun musste sie ihren Mann nur noch zur Rückkehr bewegen.
Rand stand in der Halle seines Londoner Hauses, zog seine Glacehandschuhe an und wartete, bis ihm der Butler ein weit geschnittenes, mit Satin gefüttertes Cape um die Schultern legte. Dann strebte er zur Tür hinaus, in eine klare Nacht. Wie Juwelen funkelten die Sterne und erhellten die Straßen.
Tagsüber war Schnee gefallen, der den Schmutz in den Rinnsteinen verbarg und den Anschein erweckte, die Stadt würde vor Sauberkeit und Frische strahlen.
So fühlte sich auch Rand - frisch und munter. Endlich war er ins Leben zurückgekehrt, in seine Welt voller Bälle und Partys, in die fröhliche Londoner Aristokratie. Seit seiner Ankunft in der Stadt stürzte er sich ins Vergnügen, um seine katastrophale Ehe zu vergessen, den Verlust des geliebten Sohnes und die Frau, die ihm - wenn auch unabsichtlich -alle inneren Kräfte geraubt hatte.
Um dieses Ziel zu erreichen, kam er nur selten vor dem Morgengrauen nach Hause. Meistens war er beschwipst, und die Ereignisse des Abends verschwammen hinter einem wohltuenden Schleier. Freunde aus seiner Vergangenheit tauchten wieder auf; Lord Anthony Miles, der zweite Sohn des Marquess of Wilburn; Raymond de Young, ein einstiger Schulkamerad; der Viscount St. Ives, ein attraktiver, eingefleischter Wüstling und der Gefährte mehrerer wilder Jahre. Dazu gesellten sich andere Gentlemen, die Rand kaum kannte, die aber seine Gesellschaft suchten. Nur wenige waren verheiratet.
Jeden Abend besuchten sie Partys oder Bälle, tranken und spielten. Bald erfüllten die Amüsements ihren Zweck. Rand überwand seinen Kummer und fühlte sich wieder glücklich. Jetzt lagen die dunklen Tage hinter ihm.
Die schmerzlichen Erinnerungen vergrub er in den Tiefen seiner Seele und befasste sich nicht mehr damit. Ein gelegentlicher Brief an Cait genügte vorerst, um sein Pflicht zu erfüllen. Vielleicht würde er sie irgendwann besuchen und feststellen, wie es ihr ging. Aber jetzt noch nicht. Zurzeit wollte er das Londoner Gesellschaftsleben genießen, vor allem dessen lasterhafte
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